Archive for the ‘Kunst’ Category

4540: Wim Wenders „Anselm. Das Rauschen der Zeit“

Sonntag, Oktober 22nd, 2023

In seinem neuen Dokumentarfilm

„Anselm. Das Rauschen der Zeit“ (93 Minuten)

porträtiert Wim Wenders den „Großkünstler“ Anselm Kiefer hauptsächlich in seinem großen Atelier bei Paris, einem riesigen Themenpark. Besucht werden auch andere Orte der Kieferschen Produktivität. Wenders und Kiefer sind beide Jahrgang 1945 und Freunde. Das ist vermutlich nicht immer gut. Kiefer hat Zeit seines künstlerischen Lebens stets gegen das deutsche Vergessen (des Nationalsozialismus) gekämpft. Mit großen Formaten und ungewöhnlichen Stoffen.Und ohne nachzulassen.

In Deutschland fand er zunächst wenig Anerkennung, um so mehr dafür in den USA, in Großbritannien und Frankreich. Da war das Vergessen nicht so erfolgreich. Kiefer bewegte sich auf den Pfaden der deutschen Romantik. Deren Protagonisten waren der Meinung, dass die Vergangenheit zum Sprechen gebracht werden kann. Das fasziniert Wenders, der eigentlich auch Maler hatte werden wollen. Wenders folgt Kiefer auf dessen Fahrrad durch die riesigen Räume. Er sieht in ihm ein Genie. Einmal steht Anselm Kiefer, wie gemalt von Caspar David Friedrich, auf einem Hügel und schaut ins diesige Tal. Mehr Verbundenheit geht nicht.

Die beiden Freunde hatten das Filmprojekt schon seit langem angebahnt. Wenders zeigt Kiefers Entwicklung als Weg der Erkenntnis und der ästhetischen Reife. Er bedient damit ein romantisches Klischee. Die professionelle Kritik sieht den Film eher kritisch. So schreibt Sophie Jung (taz 11.10.23): „Wim Wenders hat mit diesem Film ein Monument für Anselm Kiefer gedreht, so pathetisch und einseitig ein Monument eben ist. Ein recht verstaubtes Monument übrigens.“ Philipp Bovermann (SZ 11.10.23): „Kiefer hat sich keinen Gefallen getan, sich für dieses eitle Beweihräucherungswerk zur Verfügung zu stellen.“

4539: Margarethe von Trotta „Ingeborg Bachmann. Reise in die Wüste“

Samstag, Oktober 21st, 2023

Margarethe von Trotta hat sich in ihren Filmen über Rosa Luxemburg und Hannah Arendt bereits mit Erfolg wichtigen intellektuellen Frauen gewidmet. Nun geht es um das Scheitern der Liebe von Ingeborg Bachmann und Max Frisch (1958-1963). Dass deren Liebe scheitern wird, zeigt der Film von Anfang an. Die Hauptdarsteller Vicki Krieps und Ronald Zehrfeld erweisen sich ihren Rollen als gewachsen. Zehrfeld ist aber zu dick. Krieps schön. Sie trägt edle Kleider und mehrreihige Perlenketten. Manchmal fragen wir uns, warum liebt sie diesen Mann eigentlich. Vielleicht war es ja so. Ingeborg Bachmann war nicht nur eine moderne und unnachgiebige Frau, sie war auch verträumt. Und sie wollte mit Max Frisch zusammenleben.

Das ging schon deswegen nicht, weil der mit seiner Schreibmaschine einen Umgang pflegte wie mit einer „Kalaschnikoff“. Die Protagonisten waren Konkurrenten. Sie scheitern auch an den Vorstellungen von den Geschlechterrollen um 1960. Max Frisch kommt in diesem Film schlechter weg als in dem 1.038 Seiten umfassenden Briefwechsel der beiden („Wir haben es nicht gut gemacht“ 2023). Das liegt auch am Medium Film, das nicht so viele Möglichkeiten bietet wie Literatur. Aus dem Briefwechsel wissen wir, dass Max Frisch keineswegs der frauenmordende Chauvi war. Der Komponist Hans Werner Henze und der Wiener Filmemacher Adolf Opel kommen im Film gut weg. Und Ingeborg Bachmann erscheint uns als sinnlich, lebenslustig und unglücklich (Kathleen Hildebrand, SZ 20.10.23).

4535: Kehlmanns neuer Roman „Lichtspiel“

Donnerstag, Oktober 19th, 2023

In seinem neuen Roman

Lichtspiel. Hamburg (Rowohlt) 2023, 480 Seiten, 26 Euro,

beschäftigt sich Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) ausführlich mit der deutschen Filmgeschichte. Stars wie Fritz Lang, Greta Garbo, Leni Riefenstahl und Heinz Rühmann treten auf.

Vor allem aber der österreichische Regisseur Georg Wilhelm Pabst (1885-1967), dessen Rolle bei Unkundigen weithin unterschätzt wird. Er war ein Hauptvertreter der „Neuen Sachlichkeit“ und der Entdecker Greta Garbos. die neben Asta Nielsen schon in seinem Stummfilm „Die freudlose Gasse“ (1925) auftrat. Pabst hatte die Regie bei „Geheimnisse einer Seele“ (1926), sozusagen der Standortbestimmung der Psychoanalyse seinerzeit, und bei „Die Büchse der Pandora“ (1929). Bertolt Brecht „Dreigroschenoper“ richtete er 1931 für das Kino ein. In „Westfront 1918“ (1930) und „Kameradschaft“ (1931) setzte er sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinander. Er galt als der „rote Pabst“ und wird von uns Filmfans hoch geschätzt. Nach 1933 hatte er es schon nach Frankreich und Hollywood geschafft, ohne dort ökonomisch zu reüssieren, als er 1939 nach einem Besuch bei seiner Familie Deutschland nicht mehr verlassen konnte. Fortan machte er nach einem hoch verlockenden Angebot von Joseph Goebbels Propagandafilme für die Nazis, filigran und hochdifferenziert. So etwa „Komödianten“ (1941) und „Paracelsus“ (1943). Auch nach 1945 machte er weiter Filme. So etwa den Widerstandsfilm „Es geschah am 20. Juli“ (1955).

Eine Person also, die für Daniel Kehlmann sehr viel Stoff bietet. Sowohl zum Beschreiben als auch zur Analyse. Leider bleibt er dabei zum Teil wie in einer Nummernrevue hängen. Einige Personen bekommen keine psychologische Tiefe. In einer Rede zur Literatur hatte Kehlmann über ihre Offenheit geschrieben: „um historische Figuren in erzählender Prosa (sei) immer ein Flackern, eine Unsicherheit, eine Grundverwirrung, die wir im Theater oder im Film nicht erleben“. Der Film erzählt auch, dass Pabst seinen hochbegabten Sohn nicht fördert, um ihn zu einem gehorsamen Hitlerjungen zu machen. Wahrscheinlich will Kehlmann uns hier die Gefährdung von Kunst und Künstlern in der Diktatur zeigen, die der Autor selbstverständlich genau kennt. So schreibt er etwa in einem Interview mit Felix Stephan (SZ 7./8.10.23) über Heinz Rühmann, einen der ganz großen Stars des deutschen Films: „Rühmann ist ein interessanter Fall, weil er zwar Kompromisse eingegangen ist, aber keine indiskutablen. Man kann ihn beim besten Willen keinen Nazi nennen, aber er hat unter den Nazis Filme gedreht. Er hat sich von seiner jüdischen Frau scheiden lassen, es aber so eingerichtet, dass sie versorgt und in Sicherheit war. Es ist nicht einfach, ihm Vorwürfe zu machen. Aber ich möchte wiederum auf keinen Fall sagen: Wir Nachgeborenen dürfen uns kein Urteil erlauben. Wir müssen uns sogar unbedingt ein Urteil bilden.“

Das stimmt.

(Carsten Otte, taz 9.10.23; Cornelius Pollmer, SZ 11.10.23)

4534: Der doppelte Erich

Donnerstag, Oktober 19th, 2023

Erich Kästner war einer der lebendigsten deutschen Schriftsteller. Seine Romane werden als Modelle einer dynamischen Gesellschaftsentwicklung verstanden und bis heute gelesen. Insbesondere „Fabian“ (1931). (Übrigens: mein Sohn heißt Fabian.). Erich Kästner war ein scharfer Kritiker der Weimarer Republik. Und der Nationalsozialisten. Wie konnte es sein, dass er 1933 in Deutschland blieb?

Dieser Frage widmet sich gekonnt der Literaturkritiker Tobias Lehmkuhl in seinem Buch

Der doppelte Erich – Kästner im Dritten Reich. Berlin (Rowohlt) 2023, 304 Seiten, 24 Euro.

Kästner gelangte nicht sofort in die Reichsschriftumskammer, brauchte für die von ihm verfassten Drehbücher (u.a. „Münchhausen“ mit Hans Albers) eine Sondergenehmigung. Er schrieb schnell, viel und regelmäßig. Gewiss hätte er in Hollywood eine gute Chance gehabt.

Bei der Bücherverbrennung der Nazis (auch seiner eigenen Bücher) am 30. Mai 1933 soll Kästner auf dem Opernplatz in Berlin dabei gewesen sein. Nicht ungeschickt wählte er häufig das Motiv des Doppelgängers („Doppeltes Lottchen“). Beim zweiten Versuch, Mitglied der Reichsschrifttumskammer zu werden, schrieb Kästners Anwalt: Seine Mitarbeit an der „Weltbühne“ sei „nicht mit Tucholsky und anderen jüdischen Literaten“ zu vergleichen. Bei der Judenverfolgung blieb Kästner erstaunlich emotionslos. Vorsichtshalber manipulierte er sein Tagebuch. Alles unter dem Eindruck nationalsozialistischer Repression. Zum Widerstand hat es nicht gereicht.

Kleinere Ungenauigkeiten trüben den guten Eindruck von Lehmkuhls Buch. So konnte der Nazi-Autor Walter Kiaulehn nach 1945 erst in Kästners „Neuer Zeitung“ mitarbeiten, als Hans Habe, ein Nazi-Opfer, die Redaktion verlassen hatte. Kästner selbst schrieb leicht und schnell. Und ganz wird die Frage nicht beantwortet, ob seine Sprache nicht hier und da doch von der Nazipropaganda kontaminiert wurde. Tobias Lehmkuhls Buch gibt eine Lese- und Verständnishilfe (Hilmar Klute, SZ 14./15.10.23).

4521: China: Die alltägliche brutale Repression im Dokumentarfilm

Dienstag, Oktober 10th, 2023

China maßt sich an, führende Weltmacht zu werden. Dabei übersehen viele Beobachter die tägliche brutale Repression, manchmal ist die mörderisch, durch den chinesischen Überwachungsstaat. Die wird in einem Dokumentarfilm der in den USA lebenden Jialing Zhang gezeigt („Total Trust“). Wie Menschen von den chinesischen Behörden ohne Anklage, ohne Prozess, ohne Urteil, ohne juristischen Beistand und ohne Kontakt zur Außenwelt teilweise jahrelang hinter Gitter gebracht werden. „Ein aufwühlender Film“, schreibt Thomas Assheuer (Zeit 28.9.23) zu Recht. In China wird Hightech-Überwachungstechnik eingesetzt und gefoltert. Der „innere Feind“ soll ausgemerzt werden. „Die Kamera blickt durch den Türspion, wenn die Stiefelknechte der Partei im Hausflur Überwachungstechnik anschrauben“. „Wenn Chinas Politik, wie ‚ Total Trust‘ behauptet, einen ‚globalen Trend‘ widerspiegelt, dann ist es die Wiederkehr des Großinquisitors in Gestalt einer technisch perfektionierten Form der Menschenverwaltung.“

Am Ende schreibt der Rezensent Thomas Assheuer, und das ist mir besonders wichtig: „Und die halbe Welt zittert angesichts der Frage, ob in den USA im nächsten Jahr wieder jener Präsident an die Macht gelangt, der fest entschlossen ist, der Demokratie das Messer an die Kehle zu setzen.“

4515: Schließung von Goethe-Instituten

Freitag, Oktober 6th, 2023

Es ist ein Skandal und eine Katastrophe, dass unter Annalena Baerbock (Grüne) wichtige Goethe-Institute geschlossen werden sollen. U.a. in Bordeaux, das sich gerade zu einem kreativen Zentrum Europas entwickelt. Das Entsetzen in der französischen Presse ist groß. Ulrich Wickert beklagt: „Dies ist ein Verstoß gegen den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Ich habe den Eindruck, die deutsche Außenministerin hat diese Freundschaft nicht auf ihrer Agenda.“ Weitere Schließungen sind geplant in Lille, Straßburg, Rotterdam, Genua, Triest, Turin und Washington. Dafür sollen in Texas und im Südpazifik neue Institute eröffnet werden. Es geht dabei nicht nur um Sprachkenntnisse, das übrigens auch, sondern auch um Vertrauen. Nach dem Brexit sind Frankreich und Deutschland mehr als je der Kern des vereinten Europas. Zudem ist es höchst zweifelhaft, ob es die Aufgabe auswärtiger Kulturpolitik ist, in Übersee Arbeitskräfte auszubilden, um der deutschen Wirtschaft zu helfen (Nils Minkmar, SZ 6.10.23).

4503: Christian Thielemann neuer Generalmusikdirektor an der Staatsoper Unter den Linden

Donnerstag, September 28th, 2023

Christian Thielemanns, 64, Berufung als Nachfolger Daniel Barenboims zum Generalmusidirektor an die Staatsoper Unter den Linden in Berlin hat in der Hauptstadt Jubel ausgelöst. Der neue Chef verfügt über ein starkes Ego. Und manchmal polarisiert er auch Publikum, Musiker und Mitarbeiter. An einigen Stätten seiner Tätigkeit war sein Abgang nicht ganz unproblematisch: Dresden, Bayreuth, Salzburg. Die Berliner Philharmoniker entschieden sich für Kirill Petrenko.

An einem weltweit so beobachteten Haus wie der Staatsoper Unter den Linden ist das nicht ganz unheikel. Intendanten, Sänger, Regisseure und Repertoire müssen aufeinander abgestimmt werden. Die Angriffe auf Hochkultur-Institutionen haben zugenommen. Thielemann brillierte bisher mit hochromantischen deutschen Opern. Die Aufführungen glichen bisweilen mystischer Beschwörung der Klänge. Kritiker bemängelten manchmal die große Lautstärke, die „Marschseligkeit“ und die langsamen Tempi. In aller Welt werden gegenwärtig eher sehr junge Dirigenten bevorzugt. Es muss ein neues, ungebildeteres Publikum gewonnen werden. Richard Wagner und Richard Strauss sind da nur zwei Bausteine.

Sehr wichtig ist dabei neue Berliner Staatsopernintendantin Elisabeth Sobotka. Wahrscheinlich steht ihr Programm für die ersten Jahre ja bereits. Das muss dann mit Thielemann abgestimmt werden. Sehr wichtig ist dabei natürlich auch die Berliner Politik. Es kommt stark auf den neunen Kultursenator Joe Chialo (CDU) an. Es wird sich bald zeigen, ob Thielemann in Berlin einen konservativen Weg beschreitet wie in Wien oder Mailand oder einen zukunftsorientierten wie in New York und München. Hoffentlich kommt es zu einem konstruktiven Zusammenspiel aller Beteiligten. Das wäre für uns als Hörer das Beste (Reinhard J. Brembeck, SZ 28.9.23).

4494: Lehrermangel

Dienstag, September 19th, 2023

In Deutschland fällt bisweilen monatelang der Unterricht aus. Auch in wichtigen Fächern. Es fehlen bis zu 40.000 Lehrer. Das verschärft die Bildungskrise und hat verheerende Folgen für die Gesellschaft. Es fehlt manchmal sogar an der Vermittlung grundlegender Fähigkeiten (Lesen, Schreiben, Rechnen). Jedes Jahr verlassen 50.000 Schüler ohne Abschluss die Schulen. Und dann soll es ab 2026 sogar einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagesplatz geben. Unmöglich. Zudem sind die Bildungschancen in Deutschland seit langem sozial völlig ungerecht verteilt. Davor warnen Experten seit über 20 Jahren. Den Politikern scheint das weithin egal zu sein. Die Bundesländer fangen an, sich aggressiv gegenseitig Lehrer abzuwerben. Das ist verantwortungslos.

Quereinsteiger sind allenfalls eine Hilfslösung, weil sie keine didaktische Qualifikation mitbringen. Aber das Bundesland Brandenburg etwa verbeamtet sogar Quereinsteiger mit Bachelorabschluss. Von den im Dienst befindlichen Lehrern sind viele überlastet. Gründe sind u.a. die Pandemie und 200.000 Schüler aus der Ukraine. Das Ganze ist eine einzige riesige Katastrophe. Das hält Deutschland nicht aus (Lilith Volkert, SZ 12.9.23).

4487: Netrebko-Kontroverse: aushalten

Samstag, September 16th, 2023

Anna Netrebko singt zur Zeit an der Berliner Staatsoper in Giuseppe Verdis „Macbeth“. Auf Wunsch des Staatsopernintendanten. 40.000 Menschen haben eine Petition gegen ihren Auftritt unterzeichnet, weil sie vor dem russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine Putin sehr nah war. Seither ist sie in Russland nicht mehr aufgetreten und hat Statements gegen den Krieg abgegeben. Allerdings nie Putin als Aggressor bezeichnet, was ja das Mindeste gewesen wäre. Das müssen wir aushalten (Reinhard J. Brembeck, SZ 16./17.9.23).

4478: Fehlbesetzung in Margarethe von Trottas Bachmann-Film

Sonntag, September 10th, 2023

In Margarethe von Trottas Film „Ingeborg Bachmann, Reise in die Wüste“ empfand ich Ronald Zehrfeld als Max Frisch als eine Fehlbesetzung. Ganz im Gegensatz zu seiner Partnerin Vicky Krieps als Ingeborg Bachmann.