Archive for the ‘Kunst’ Category

4487: Netrebko-Kontroverse: aushalten

Samstag, September 16th, 2023

Anna Netrebko singt zur Zeit an der Berliner Staatsoper in Giuseppe Verdis „Macbeth“. Auf Wunsch des Staatsopernintendanten. 40.000 Menschen haben eine Petition gegen ihren Auftritt unterzeichnet, weil sie vor dem russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine Putin sehr nah war. Seither ist sie in Russland nicht mehr aufgetreten und hat Statements gegen den Krieg abgegeben. Allerdings nie Putin als Aggressor bezeichnet, was ja das Mindeste gewesen wäre. Das müssen wir aushalten (Reinhard J. Brembeck, SZ 16./17.9.23).

4478: Fehlbesetzung in Margarethe von Trottas Bachmann-Film

Sonntag, September 10th, 2023

In Margarethe von Trottas Film „Ingeborg Bachmann, Reise in die Wüste“ empfand ich Ronald Zehrfeld als Max Frisch als eine Fehlbesetzung. Ganz im Gegensatz zu seiner Partnerin Vicky Krieps als Ingeborg Bachmann.

4463: Ermittlungen gegen Till Lindemann eingestellt

Mittwoch, August 30th, 2023

Die Genralstaatsanwaltschaft Berlin hat die Ermittlungen gegen den „Rammstein“-Sänger Till Lindemann (und die „Casting-Direktorin Alena M.) wegen des Verdachts von Sexualdelikten und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz eingestellt. Die Ermittlungen hätten „keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass der Beschuldigte gegen deren Willen sexuelle Handlungen an Frauen vorgenommen, diesen willensbeeinflussende oder ausschaltende Substanzen verabreicht oder gegenüber minderjährigen Sexualpartnerinnen Machtgefälle ausgenutzt hat, um diese zum Geschlechtsverkehr zu bewegen.“ Die Beschuldigungen waren von „unbeteiligten Dritten“ vorgetragen worden. Anscheinend haben es mehrere betroffene Frauen vorgezogen, anonym zu bleiben. Lindemann sagte: „Ich danke allen, die unvoreingenommen das Ende der Ermittlungen abgewartet haben.“ (Lena Kampf, SZ 30.8.23)

4462: Robert de Niro 80

Dienstag, August 29th, 2023

Ich erinnere mich an einige Fimnachmittage im Göttinger „Stern“ oder „Sternchen“, für die ich mich in den siebziger Jahren freimachen konnte. Zu Filmen mit Robert de Niro (geb. 1943) oder von Martin Scorsese. Manchmal war ich der einzige Gast. So bei „Hexenkessel“ (1973) oder „Taxi Driver“ (1976). Der große Kino-Metaphysiker der Gewalt, Martin Scorsese, brauchte dazu Robert de Niro. Dessen ungeheure Arroganz und Intensität waren unersetzlich. Heute nicht mehr, wo er 80 Jahre alt wird, aber das liegt nicht an de Niro, sondern an den modernen Filmen.

De Niro verkörperte schon in jenen Filmen den Typus des weißen Manns, der Indigene bekämpft. Die Linken mögen ihn deswegen nicht. Er wirkt nicht fortschrittlich genug. Dafür wahrhaftig. So auch in „Raging Bull“ (1980), wo er den Mittelgewichtler Jake La Motta verkörpert, dem er zwei Jahre vor dem Film auf den Pelz und in die Wohnung rückte. De Niro lernte Boxen. Und wir Boxfans erkannten, dass das gelang. Schon viele große Hollywood-Schauspieler hatten Boxer gespielt, aber Robert de Niro übertraf sie alle. Er wurde Weltmeister (der Schauspielkunst). Vielleicht hat er nicht so viel Charisma wie andere Schauspieler, aber versiegelt sich in seine Rollen. So bei „Meine Braut, ihr Vater und ich“ (2000). De Niro verkörperte weithin den Zorn der städtischen, besitzlosen Klassen. Wie gut; denn den Linken heute fällt dazu ja nicht allzu viel ein (Philipp Bovermann, SZ 17.8.23).

4460. Wolf Wondratschek 80

Montag, August 28th, 2023

Der Lyriker Wolf Wondratschek ist 80 Jahre alt geworden. Früher war er angriffslustig. Sein erster Gedichtband

„Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“ 1969

war für uns Gedichtefans ein Paukenschlag. Wondratschek war ein Popstar der Lyrik. Er bekam große Vorschüsse. Als er von einem Verleger einen Koffer voller Geld verlangte, warf der ihn raus. Der Filmproduzent Bernd Eichinger kaufte ihm ein einziges Gedicht ab, das über die Frau ging, die beide liebten. Am Ende verkaufte Wolf Wondratschek seinen letzten Roman an einen Wiener Privatmann, Auflage ein Exemplar. Volker Weidermann schreibt dazu: „Mir hat Wondratschek vor ein paar Jahren im einzigen Zimmer im Hotel Savoy in Berlin, in dem man rauchen darf, diesen Roman nacherzählt. Das war eines der schönsten Erlebnisse, die ich als Literaturkritiker hatte.“ (Zeit, 17.8.23)

4454: Reiner Kunze 90

Samstag, August 26th, 2023

Der Bergarbeitersohn und Lyriker Reiner Kunze (geb. 1933) machte zunächst eine ordentliche DDR-Karriere. Abitur, Eintritt in die SED, Studium der Philosophie und Publizistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Als wissenschaftlicher Assistent wurde er dort aber schon 1959 „konterrevolutionärer Umtriebe“ bezichtigt. 1959 war „Vögel über dem Tau“ erschienen, 1969 „sensible wege“. 1976 erschienen die „Wunderbaren Jahre“, Reiner Kunzes wichtigsates Werk. Dafür wurde er aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, sein SED-Parteibuch hatte er bereist 1968 zurückgegeben.

In seinem Kölner Konzert 1976 sang Wolf Biermann „Selbstporträt für Reiner Kunze“. Biermann wurde nicht mehr reingelassen, Kunze wanderte 1977 aus. Lebt seither in der Gegend von Passau. 1977 hatte ihm Heinrich Böll die Laudatio zur Verleihung des Büchner-Preises gehalten. 1990 erschien unter „Deckname ‚Lyrik'“ Reiner Kunzes Stasi-Geschichte. Dabei wurde klar, dass er von Ibrahim Böhme, dem zeitweiligen SPD-Star ausgespäht worden war. Deutsache Geschichte im 20. Jahrhundert. Reiner Kunze hat sich in seiner Lyrik stets von Rose Ausländer und Paul Celan leiten lassen. Er feiert seinen 90. Geburtstatg (Lothar Müller, SZ 16.8.23).

4447: Anna Netrebko könnte Truppenbetreuung machen.

Montag, August 7th, 2023

360.000 US-Dollar verlangt die weltberühmte Opernsängerin Anna Netrebko von der Metropolitan Opera New York. Für dort abgesagte Konzerte. Met-Chef Peter Gelb hatte gleich zu Beginn des russischen Vernichtungskriegs von Netrebko verlangt, sich von dem Kriegsverbrecher Wladimir Putin zu distanzieren. Sie hatte für den Wahlkampf gemacht. Zuerst schwieg Netrebko, dann sprach sie sich gegen den Krieg aus. Da konnte sie auch in Russland nicht mehr auftreten. Auch westliche Häuser gaben sich zögerlich. Gelb war das zu wenig. Die Met sagt nach wie vor Nein zu Netrebko-Auftritten. Anderswo im Westen (Verona, Paris, Wien, Berlin, Mailand) ist die Russin zurück. Als Kassenmagnet. Am besten könnte sie doch bei der russischen Truppenbetreuung auftreten (SZ 7.8.23).

4442: Flensburger „Primavera“ entfernt

Mittwoch, August 2nd, 2023

Die Bronzeplastik einer nackten Frau, der sogenannten „Primavera“ (italienisch: Frühling), des Künstlers Fritz During ist aus dem Foyer der Universität Flensburg entfernt worden. Beantragt hatte das der Gleichstellungs- und Diversitätsausschuss. Inzwischen steht dort ein regenbogenfarbenes Fragezeichen. Der Asta hat im Sinne der Kunstfreiheit beantragt, die Plastik wieder aufzustellen. Eine Petition dafür haben mittlerweile über 2.000 Menschen unterzeichnet.

Die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Flensburg fragt, ob eine nackte Frau im Foyer der Universität richtig aufgestellt sei. Der Akademische Senat, in dem auch Studenten vertreten sind, war mit der Angelegenheit nicht befasst. Das Präsidium der Universität hat inzwischen das Fach Kunst um eine Stellungnahme gebeten. Das empfiehlt, „die Plastik (eine solide künstlerische Arbeit ihrer Zeit und ihres Entstehungskontextes)“ zwar weiterhin auf dem Gelände der Universität auszustellen, „aber einen weniger zentralen Ort dafür zu wählen“. Nach der Sommerpause fällt die Entscheidung. Zur Zeit steht die Plastik im Büro des Hausmeisters (Gernot Knödler, taz 28.7.23).

4433: Martin Walser ist tot.

Samstag, Juli 29th, 2023

Im Alter von 96 Jahren ist in seiner Heimat am Bodensee der deutsche Schriftsteller Martin Walser gestorben. Er war einer der größten deutschen Schriftsteller nach 1945. Und der streitlustigste. Er hat viele Kontroversen ausgelöst und über 50 Bücher geschrieben. Einige davon wohl zu viel. Walsers Spezialität war das deutsche Seelenleben. Zugleich war er ein messerscharfer Intellektueller.

Zu seinen wichtigsten Werken gehören: „Ehen in Philippsburg“ (1957), „Ein fliehendes Pferd“ (1978), „Dorle und Wolf“ (1987), „Die Verteidigung der Kindheit“ (1991), „Ein springender Brunnen“ (1998), „Ein liebender Mann“ (2008).

Martin Walser trat schon für die Vereinigung Deutschlands ein, als das unter Intellektuellen noch als dégoutant galt. Er nahm kein Blatt vor den Mund. So auch nicht bei seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1998. Da betonte er, dass Auschwitz nicht als „Drohroutine“, „Moralkeule“, „Lippengebet“ verwandt werden dürfe. Und zog einen Sturm der Entrüstung auf sich. Meine Kollegin, Prof. Dr. Martina Thiele, Universität Tübingen, und ich haben in unserer Analyse geschrieben (Deutsche Studien Heft 142, 1999, S. 147-208):

Walsers Gegner versuchen, „Walser als jemanden zu entlarven, der schon immer nationalistisch, spießig und überheblich gewesen ist. Walsers Eintreten für die nationale Einheit zu einem Zeitpunkt, in dem der Gedanke daran als revanchistisch galt, seine Laudatio auf Victor Klemperer und nun die Friedenspreisrede haben diese Kritiker in iher Ablehnung bestärkt. Andere Gegner gestehen Walser seine politischen Überzeugungen bis zu einem gewissen Punkt zu, sie verreißen sein literarisches Werk. So stellt Marcel Reich-Ranicki im ‚Literarischen Quartett‘ am 14.8.1998 fest: ‚Aber Erzählen kann er ums Verrecken nicht.'“ (S. 198)

Reich-Ranicki nahm Martin Walser sich dann in seinem Roman „Tod eines Kritikers“ (2002) vor. Auch das erweckte Abscheu und Entsetzen. Am literarischen Rang Walsers ändert es nichts.

4427: Brigitte Reimann wäre heute 90.

Dienstag, Juli 25th, 2023

Vor 50 Jahren ist Brigitte Reimann an Krebs gestorben. Tragisch. Kaum ein Schriftsteller hat so viel Privates von sich preisgegeben wie diese lebenslängliche Sozialistin: Abstürze, Affären, Beziehungen, Dreiecksverhältnisse, vier Ehen, Leidenschaft, Begehren, Trennungen. Reimann war Mitglied in der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft (DSF) und in der FDJ. Die 1933 Geborene bejubelte anfangs wie alle, die publiziert werden wollten, den Stalinismus.

Dann wurde sie auf den „Bitterfelder Weg“ gezwungen, auf dem die Werktätigen die „Höhen der Kultur“ erstürmen sollten. Reimann kam ins Lausitzer Braunkohlekombinat „Schwarze Pumpe“, schliff Ventile und gab Schreibkurse. Schriftstellerin hatte sie von Anfang an werden wollen. Das Gesundbeten und die Schönfärberei der SED-Propaganda gingen ihr stark auf die Nerven. Der Leiter der Kulturkommission der SED, Kurt Hager, lobte sie für ihre Fähigkeit, ein „sozialistisches Lebensgefühl“ zu vermitteln, ohne die Schwierigkeiten unter den Tisch fallen zu lassen.

Brigitte Reimanns Hauptwerk „Franziska Linkerhand“ erschien posthum 1974. Darin sagt Franziska: „Wir haben gelernt, den Mund zu halten, keine unbequemen Fragen zu stellen, einflussreiche Leute nicht anzugreifen, wir sind ein bisschen unzufrieden, ein bisschen unehrlich, ein bisschen verkrüppelt, sonst ist alles in Ordnung.“ In diesem Roman spürt man schon den Vorgriff auf die ausländerfeindlichen Übergriffe in Hoyerswerda nach dem Mauerfall. Als junge Frau hatte sich Brigitte Reimann von der Stasi anwerben lassen. Insofern konnte sie kundig über „Republikflucht“, die für sie nicht in Frage kam, und Spitzelkultur schreiben. Sie selbst wurde zum Gegenstand mehrerer „operativer“ Vorgänge. Jemand wie Brigitte Reimann fehlt in unserer Literatur (Danilo Scholz, SZ 21.7.23).