4534: Der doppelte Erich

Erich Kästner war einer der lebendigsten deutschen Schriftsteller. Seine Romane werden als Modelle einer dynamischen Gesellschaftsentwicklung verstanden und bis heute gelesen. Insbesondere „Fabian“ (1931). (Übrigens: mein Sohn heißt Fabian.). Erich Kästner war ein scharfer Kritiker der Weimarer Republik. Und der Nationalsozialisten. Wie konnte es sein, dass er 1933 in Deutschland blieb?

Dieser Frage widmet sich gekonnt der Literaturkritiker Tobias Lehmkuhl in seinem Buch

Der doppelte Erich – Kästner im Dritten Reich. Berlin (Rowohlt) 2023, 304 Seiten, 24 Euro.

Kästner gelangte nicht sofort in die Reichsschriftumskammer, brauchte für die von ihm verfassten Drehbücher (u.a. „Münchhausen“ mit Hans Albers) eine Sondergenehmigung. Er schrieb schnell, viel und regelmäßig. Gewiss hätte er in Hollywood eine gute Chance gehabt.

Bei der Bücherverbrennung der Nazis (auch seiner eigenen Bücher) am 30. Mai 1933 soll Kästner auf dem Opernplatz in Berlin dabei gewesen sein. Nicht ungeschickt wählte er häufig das Motiv des Doppelgängers („Doppeltes Lottchen“). Beim zweiten Versuch, Mitglied der Reichsschrifttumskammer zu werden, schrieb Kästners Anwalt: Seine Mitarbeit an der „Weltbühne“ sei „nicht mit Tucholsky und anderen jüdischen Literaten“ zu vergleichen. Bei der Judenverfolgung blieb Kästner erstaunlich emotionslos. Vorsichtshalber manipulierte er sein Tagebuch. Alles unter dem Eindruck nationalsozialistischer Repression. Zum Widerstand hat es nicht gereicht.

Kleinere Ungenauigkeiten trüben den guten Eindruck von Lehmkuhls Buch. So konnte der Nazi-Autor Walter Kiaulehn nach 1945 erst in Kästners „Neuer Zeitung“ mitarbeiten, als Hans Habe, ein Nazi-Opfer, die Redaktion verlassen hatte. Kästner selbst schrieb leicht und schnell. Und ganz wird die Frage nicht beantwortet, ob seine Sprache nicht hier und da doch von der Nazipropaganda kontaminiert wurde. Tobias Lehmkuhls Buch gibt eine Lese- und Verständnishilfe (Hilmar Klute, SZ 14./15.10.23).