Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

hier können Sie Meinungen finden im Kern über Politik, Literatur und Sport. Hauptsächlich meine Meinung. Weil nichts von dem, das ich beschreibe, von mir unabhängig ist. Fakten, Fakten, Fakten bekommen Sie anderswo. Weil dort aber „Objektivität“ (vgl. W. S.: Objektivität oder Parteilichkeit. Empirischer Vergleich der Berichterstattung von Aktueller Kamera (DDR) und Tagesschau. In: Media Perspektiven 1/1981, S. 55-61) herrscht, brauchen Sie selber dann nicht mehr nachzudenken. Durch meine Unterscheidungen und Wertungen bringe ich meine Welt hervor. Nehmen Sie gerne daran teil! Auch durch Ihren Widerspruch und Ihre eigene Meinung.

Anfang und Ende

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war am Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. (Joh. 1, 1-3)

170 Gedichte von 64 Autorinnen und Autoren

Hier finden Sie 170 Gedichte (64 Lyrikerinnen und Lyriker). Von Walther von der Vogelweide (um 1170- um 1230) bis zu Kerstin Hensel (geb. 1961). Weitere sieben Frauen sind dabei: Caroline von Günderode, Else Lasker-Schüler, Rose Ausländer, Hilde Domin, Ingeborg Bachmann, Sarah Kirsch und Ulla Hahn. Meine Vorlieben sind erkennbar durch die Zahl der ausgewählten Gedichte. Es führen die Herren Heinrich Heine aus Düsseldorf mit 36 Gedichten, Gottfried Benn aus Berlin mit 15 und Bertolt Brecht aus Augsburg mit 13. Von Theodor Storm und Klaus Groth gibt es Gedichte auf Plattdeutsch, was mich an meine alte Heimat erinnert.

Anmerkungen von Gottfried Benn zu Kunst und Literatur

Es ist heute tatsächlich so, es gibt nur zwei verbale Transzendenzen: die mathematischen Lehrsätze und das Wort als Kunst. Alles andere ist Geschäftssprache, Bierbestellung.

Kunst ist die Sache von fünfzig Leuten, davon noch dreißig nicht normal sind. Was große Verlage verlegen, ist keine Kunst, sondern Arbeit von Leuten, die ihrer Mittelmäßigkeit schriftstellerisch gerecht werden.

Schon diese erste Gedichtsammlung brachte mir von seiten der Öffentlichkeit den Ruf eines brüchigen Roués ein, eines infernalischen Snobs und des typischen … Kaffeehausliteraten, während ich auf den Kartoffelfeldern der Uckermark die Regimentsübungen mitmarschierte und in Döberitz beim Stab des Divisionskommandeurs im englischen Trab über die Kiefernhügel setzte.

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Sie können Äquilibristik lernen, Seiltanzen, Balanceakte, auf Nägeln laufen, aber das Wort faszinierend ansetzen, das können Sie, oder das können Sie nicht. Das Wort ist der Phallus des Geistes, zentral verwurzelt. Dabei national verwurzelt. Bilder, Statuen, Sonaten, Symphonien sind international – Gedichte nie.

Epik ist Schiebung. Ganz klar!

Ich bin kein gepflegtes Gehirn, das seine Produkte an gekachelten Molkereien abliefert; …

Ich sehe jetzt ein, warum Nietzsche aphoristisch schrieb. Wer keinen Zusammenhang mehr sieht, keine Systematik, kann nur noch episodisch verfahren.

Im allgemeinen weiß ich nicht, was ich schreibe, was ich vorhabe und wie etwas in mir entsteht, damals wie heute, ich weiß nur, wann das Einzelne fertig ist. Aber das Ganze ist niemals fertig.

Im Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz, und am Ende wird nicht die Propaganda sein, sondern wieder das Wort.

Gottfried Benn

Nur zwei Dinge

Durch so viel Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage,
Dir wurde erst spät bewusst,
es gibt nur eines: ertrage
– ob Sinn, ob Sucht, ob Sage –
dein fernbestimmtes: Du musst.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.

Die Welt ist so, wie wir sie sehen (wollen)

Xenophanes: Selbst wenn ein menschliches Wesen die Welt erkennen würde, wie sie wirklich ist, könnte es das selbst doch nie wissen. – Protagoras: Aller Dinge Maß ist der Mensch. – Sextus Empiricus: Wir können unsere Wahrnehmungen immer nur mit unseren Wahrnehmungen, nie aber mit dem Objekt unserer Wahrnehmung, so, wie es vor unseren Wahrnehmungen war, vergleichen. – Heraklit: Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen. – Aller Wandel ist widersprüchlich; daher ist der Widerspruch das Wesen der Wirklichkeit. – Epiktet: Nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. – Hippokrates: Alle Teile des Organismus bilden einen Kreis. Daher ist jeder Teil sowohl Anfang als auch Ende. – Berkeley: Erst wirbeln wir den Staub auf und behaupten dann, dass wir nicht sehen können. – George Bernard Shaw: Im Leben gibt es zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches. Die andere ist seine Erfüllung. – Lewis Carroll: Wenn kein Sinn darin ist, so erspart uns das eine Menge Arbeit, denn dann brauchen wir keinen zu suchen. – Gottfried Benn: Anstelle des Begriffs der Wahrheit und der Realität, einst theologisches, dann wissenschaftliches Requisit, tritt jetzt der Begriff der Perspektive. – Es gibt keine Wirklichkeit, es gibt das menschliche Bewusstsein, das unaufhörlich aus seinem Schöpfungsbesitz Welten bildet, umbildet, erarbeitet, erleidet, geistig prägt. – Albert Einstein: Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können. – Paul Valéry: Es gibt keine wahre Bedeutung eines Textes. – Jean Piaget: Der Verstand organisiert die Welt, indem er sich selbst organisiert. – Robert Ardrey: Ein Territorium zum Beispiel existiert nicht in der Natur, es existiert im Bewusstsein des Tieres. – Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Da man leichter etwas erfindet, was sich nie ereignet hat, als etwas vergisst, das sich ereignet hat, fabriziert man Ereignisse und fügt sie ein, wo immer sie gebraucht werden, um Erinnerung und neue Wirklichkeit aufeinander abzustimmen. – Verdinglichung ist die Auffassung von menschlichen Produkten, als wären sie etwas anderes als menschliche Produkte. – Ernst von Glasersfeld: Wie Kant gezeigt hat, kann man annehmen, dass Raum und Zeit von uns in die amorphe Erfahrung hineingetragen werden. – Indem ich unterscheide, bringe ich mich als Beobachter hervor. – Handlungen, Begriffe und begriffliche Operationen sind dann viabel, wenn sie zu den Zwecken oder Beschreibungen passen, für die wir sie benutzen. – Der Konstruktivismus ist ein Weg des rationalen Denkens, er beschäftigt sich daher nicht mit metaphysischen Überlegungen, lehnt sie aber auch nicht ab. – Empirische Fakten sind aus der Sicht des Konstruktivismus auf Regelmäßigkeiten in der Erfahrung eines Subjekts gegründete Konstrukte. Sie bleiben so lange viabel, wie sie ihre Nützlichkeit bewahren und zur Verwirklichung von Zielen dienen. – Der Konstruktivismus kann keine Ethik produzieren. – Dann wurde mir klar, dass ich, wenn ich Englisch sprach, in einer anderen Welt lebte, als wenn ich Deutsch sprach. – Und dann ist der Wein, den ich trinke, nie der Wein, den du trinkst. – Carl Friedrich von Weizsäcker: Sprechen wir sinnvoll von Realität, so sprechen wir von Realität, spricht niemand von Realität, so ist von Realität nicht die Rede. – Klaus Krippendorff: Gewähre anderen, die in deinen Konstruktionen vorkommen, dieselbe Autonomie, die du bei ihrer Konstruktion beanspruchst. – Heinz von Foerster: Die Anrufung der Objektivität ist gleichbedeutend mit der Abschaffung der Verantwortlichkeit: darin liegt ihre Popularität begründet. – You can’t tango alone. You need two to tango. – The Map ist the Territory. – Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. – Der Mann separiert sich von der Welt, die Frau verbindet sich mit dem, was sie beschreibt. – Wir sind Metaphysiker immer dann, wenn wir Fragen entscheiden, die im Prinzip unentscheidbar sind. – Der Output wirkt auf den Input zurück, er wird zum neuen Input. Und dann geht alles wieder von vorne los. – Man kann nicht zweimal in dasselbe Gesicht schauen. – Thomas Hora: Um sich selbst zu verstehen, muss man von einem anderen verstanden werden. Um vom anderen verstanden zu werden, muss man den anderen verstehen. –  Paul Watzlawick: Ein Mann kommt in den Himmel und trifft dort einen alten Freund, auf dessen Schoß ein dralles, süßes Mädchen strampelt. „Wie himmlisch“, sagt der Neuangekommene, „ist sie deine Belohnung?“ „Nein“, sagt der alte Mann traurig, „ich bin ihre Strafe.“ – Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist. – Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt. – Schenken Sie ihrem Sohn Marvin zwei Sporthemden: Wenn er zum ersten Mal eines der beiden trägt, blicken Sie ihn traurig an und sagen Sie: „Das andere gefällt dir nicht?“ – Wittgenstein zeigt, dass wir nur dann etwas über die Welt in ihrer Gesamtheit wissen könnten, wenn es uns möglich wäre, aus ihr hinauszutreten; wäre dies aber möglich, so wäre diese Welt nicht mehr die ganze Welt. – Der erste Begriff von Wirklichkeit bezieht sich auf die rein physischen und daher weitgehend objektiv feststellbaren Eigenschaften von Dingen und damit entweder auf Fragen des so genannten gesunden Menschenverstands oder des objektiven wissenschaftlichen Vorgehens. Der zweite beruht ausschließlich auf der Zuschreibung von Sinn und Wert an diese Dinge und daher auf Kommunikation. – Humberto R. Maturana/Francisco J. Varela: Alles Gesagte ist von jemandem gesagt. – Gerade die Eigenschaft des Erkennens, eine Welt hervorzubringen, ist der Schlüssel zur Erkenntnis des Erkennens und keineswegs ein störender Rest oder ein Hindernis. – Es ist der Beobachter, der, von seinem distanzierten Standpunkt Korrelationen herstellt. – Erfolg oder Misserfolg einer Verhaltensweise sind immer durch die Erwartungen definiert, die der Beobachter bestimmt. – Je ausdifferenzierter ein System ist, desto eher kann man es betrügen. – Nichts, was sich beschreiben lässt, ist unabhängig von uns. – Francisco J. Varela: Weder das Subjekt noch das Objekt stehen am Anfang. Beide existieren nur in wechselseitiger Abhängigkeit. – Siegfried J. Schmidt: Beim Kommunizieren und Verstehen stellt sich in entwickelteren Kommunikationsmodellen nicht in erster Linie die Frage „Warum misslingt Kommunikation?“, sondern vielmehr die Frage „Warum glückt überhaupt irgendeine Kommunikation?“ – Wirklichkeitskonstruktion ist autobiografisch, sie fällt bei jedem Menschen verschieden aus. – Moralische Entscheidungen sind Entscheidungen über generell unentscheidbare Fragen, wenn damit eine objektive Begründung der Entscheidung gemeint ist. – Steaks gibt es nun mal nur in der Wirklichkeit. – Dirk Baecker: Der Beobachter kann sich nicht mehr heraushalten aus der Welt. Er ist, mit all seinen Beobachtungen, selbst ein Produkt dieser Welt. – Peter Krieg: Dokumentarfilm ist eine Fiktion, d.h. die Annerkennung als Dokumentarfilm beruht auf einer gesellschaftlichen Übereinkunft, die eine bestimmt Art und Weise der Filmherstellung und Filminszenierung und die so entstandenen Bilder als „dokumentarisch“ bezeichnet und ihnen eine andere Art von „Echtheit“ verleiht als z.B. Spielfilmen. – Klaus Merten: Konstruktionen von Wirklichkeit sind, gemäß dem „Thomas-Theorem“, indifferent gegen Fakten. – Gerhard Roth: Der Mensch fühlt sich frei, wenn er tun kann, was er zuvor wollte. – Diese Anschauung vom objektiven Charakter der Aussagen der Physik ist zwar weit verbreitet, jedoch unzutreffend. – Einzig der Besitz einer syntaktischen Sprache unterscheidet den Menschen von allen anderen Tieren. – Sprache ist ein sozial vermitteltes Vermögen und dient nicht in erster Linie dem Austausch von Wissen und dem Vermitteln von Einsicht, sondern der Legitimation des überwiegend unbewusst gesteuerten Verhaltens vor uns selbst und vor anderen. – Missverstehen ist das Normale, Verstehen die Ausnahme. – Bernd Scheffer: Gewaltdarstellungen im Fernsehen wirken in jeder nur denkbaren Richtung: Derselbe Film kann, je nach Persönlichkeit des Zuschauers, entweder anregend oder abstoßend oder verhältnismäßig neutral wirken. – Friedrich Dönhoff: Die Welt ist so, wie man sie sieht. – Bernhard Pörksen: Auch die Bezeichnung Konstruktivismus suggeriert bereits einen Gleichklang des Denkens, der gerade nicht existiert. –

Wie wir interpretieren

Aus Rudolf Bultmann: Das Problem der Hermeneutik (1950)

„Für die Interpretation literarischer Texte sind seit Aristoteles hermeneutische Regeln entwickelt worden, die traditionell geworden sind und durchweg mit Selbstverständlichkeit befolgt werden. Wie schon Aristoteles sah, ist die erste Forderung die formale Analyse eines literarischen Werkes hinsichtlich seines Aufbaus und seines Stiles. Die Interpretation hat die Komposition des Werkes zu analysieren, das Einzelne aus dem Ganzen, das Ganze vom Einzelnen aus zu verstehen. Die Einsicht, dass sich jede Interpretation in einem hermeneutischen Zirkel bewegt, ist damit gegeben.“

„Ein Verstehen, eine Interpretation, ist – das ergibt sich – stets an einer bestimmten Fragestellung, an einem bestimmten Woraufhin, orientiert. Das schließt aber ein, das sie nie voraussetzungslos ist; genauer gesagt, dass sie immer von einem Vorverständnis der Sache geleitet ist, nach der sie den Text befragt. Aufgrund eines solchen Vorverständnisses ist eine Fragestellung und eine Interpretation überhaupt erst möglich.“

„Die Fragestellung aber erwächst aus einem Interesse, das im Leben des Fragenden begründet ist, und es ist die Voraussetzung aller verstehenden Interpretation, dass dieses Interesse auch in irgendeiner Weise in den zu interpretierenden Texten lebendig ist und die Kommunikation zwischen Text und Ausleger stiftet.“

„Mit solcher Einsicht ist auch die Antwort auf die zweifelnde Frage gefunden, ob Objektivität der Erkenntnis geschichtlicher Phänomene, Objektivität der Interpretation, zu erreichen sei. Wird der Begriff der objektiven Erkenntnis von der Naturwissenschaft her genommen (…), so ist er für das Verstehen geschichtlicher Phänomene nicht gültig; denn diese sind anderer Art als die Phänomene der Natur. Sie bestehen als geschichtliche Phänomene überhaupt nicht ohne das sie auffassende geschichtliche Subjekt.“

„Die Forderung, dass der Interpret seine Subjektivität zum Schweigen bringen, seine Individualität auslöschen müsse, um zu einer objektiven Erkenntnis zu gelangen, ist also die denkbar widersinnigste. Sie hat Sinn und Recht nur, sofern damit gemeint ist, dass der Interpret seine persönlichen Wünsche hinsichtlich des Ergebnisses der Interpretation zum Schweigen bringen muss – etwa den Wunsch, dass der Text eine bestimmte (dogmatische) Meinung bestätigen oder für die Praxis brauchbare Angaben hergeben soll – was natürlich oft genug in der Geschichte der Exegese der Fall war und ist. Gewiss! Voraussetzungslosigkeit hinsichtlich der Ergebnisse ist wie für alle wissenschaftliche Forschung, so auch für die Interpretation selbstverständlich und unabdingbar gefordert. Sonst aber verkennt jene Forderung das Wesen echten Verstehens schlechterdings. Denn diese setzt gerade die äußerste Lebendigkeit des verstehenden Subjekts, die möglichst reine Entfaltung seiner Individualität voraus.“

Gottfried Benn

Reisen

Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat?

Meinen Sie aus Habana,
weiß und hibikusrot,
bräche das ewige Manna
für Ihre Wüstennot?

Bahnhofstraßen und Ruen,
Boulevards, Lidos, Laan –
Selbst auf den Fifth Avenuen
Fällt Sie die Leere an –

Ach, vergeblich das Fahren!
Spät erst erfahren Sie sich:
Bleiben und stille bewahren
Das sich umgrenzende Ich.

 

Siehe: http://blexkom.halemverlag.de/wilfried-scharf/