Archive for the ‘Kunst’ Category

4689: Elisabeth Trissenaar ist gestorben.

Mittwoch, Januar 31st, 2024

Im Alter von fast 80 Jahren ist Elisabeth Trissenaar gestorben. Sie war eine der großen Schauspielerinnen des deutschen Theaters und des jungen deutschen Films. Fast lebenslänglich war sie dem Regisseur Hans Neuenfels, ihrem Ehemann, verbunden. Das war eine bewegliche und bewegte Arbeitsgemeinschaft. Neuenfels ist 2022 mit 80 Jahren gestorben. Elisabeth Trissenaar hat viele große Rollen gespielt: Medea, Elektra, Iphigenie, Penthesilea, Nora, Hedda Gabler. Sie verfügte über ein großes sprachliches Register. Privat klang manchmal ein weiches Wienerisch der Wienerin durch. In Rainer Werner Fassbinders „Bolwiesers“ hatte sie eine ihrer größten Rollen. Manchmal suchte Trissennar die Flucht, den Rückzug in Launen und Attitüden. Denen, die sie gesehen haben, ist sie unvergessen (Peter Kümmel, Zeit 18.1.24).

4676: Angela Winkler 80

Montag, Januar 22nd, 2024

Schon in ihren ersten Filmen kam sie groß heraus, die kluge, eigensinnige und selbstbewusste Angela Winkler, die jetzt 80 wird, 1944 in der Uckermark geboren: „Jagdszenen in Niederbayern“ (Martin Sperr 1969), „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (Volker Schlöndorfff 1975) und „Die Blechtrommel“ (Volker Schlöndorff 1979). Sie galt als das Gesicht des jungen deutschen Films. Kürzlich noch war sie in „Sisi & ich“ zu sehen.

Aber ihre eigentliche Liebe gilt dem Theater. Die „Zauberfrau“ war am Burgtheater und am Berliner Ensemble. Claus Peymann hat über sie gesagt: „Wir abgemagerten Regisseure der Aufklärung, wie Peter Stein und ich, haben für diese Wunderblume nicht so das Händchen. Entweder man ist vor ihr auf den Knien, oder man scheitert. Aber an Angela Winkler zu scheitern, ist das schönste Scheitern der Welt.“ Sie hat große Erfolge unter der Regie von Peter Zadek und Robert Wilson gefeiert. 2019 veröffentlichte Winkler ein eigenes Buch. Darin beschreibt sie u.a. ihr Leben mit ihrem Mann, einem Bildhauer, und vier Kindern in der Bretagne. An ihrem Geburtstag ist sie im Berliner Ensemble in Christian Krachts „Eurotrash“ mit Joachim Meyerhoff zu sehen (Christine Dössel, SZ 22.1.24).

4655: Anne Rabe „Die Möglichkeit von Glück“

Mittwoch, Januar 10th, 2024

Anne Rabes Debütroman „Die Möglichkeit von Glück“ stand 2023 wochenlang auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. Sie erzählt darin eindrücklich von ihrem Aufwachsen in der DDR. Bei der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 war sie ein Kind. Nun schreibt sie sogar selbst in der „taz“ (30.12.23-5.1.24) über ihren Roman und ihre Erfahrungen auf einer ausgedehnten Lesereise. Ich beschreibe das hier in meinen Worten meist in der Perspektive von Anne Rabe und mit Zitaten (aus der „taz“).

Beschrieben wird die Geschichte einer SED-Familie und die von Gewalt im Staat, in der Familie und durch Krieg und Armut, die bis heute nachwirkt. Immer wieder wurde Frau Rabe auf ihrer Lesereise gefragt: „Ist dieser Text autobiografisch?

„Was die Erzählerin umtreibt, das hat auch mich beim Schreiben umgetrieben. Die Fragen, die sie sich stellt, habe ich mir oft gestellt.“

Die Folgen der Wiedervereinigung kamen sehr deutlich zum Vorschein mit Pegida 2014 und der Migrantenkrise 2015. Der Rechtsruck fand nicht nur in Ostdeutschland statt, aber da hat bis heute sein finsteres Zentrum. Das Wahlverhalten in Ost und West ist noch immer unterschiedlich. Rabe hat über ihr Aufwachsen nachgedacht.

„Manchmal erschraken wir über das, was man uns zugemutet hatte, und das, was wir einander zugemutet hatten.“

In der Agonie der DDR vor 1989: „Umgeben von Erwachsenen, die selbst nicht mehr wussten, wo oben und unten ist un die keine Kapazitäten für die Bedürfnisse ihrer Kinder frei hatten.“

Ein Freund von Anne Rabe riet: „Du musst auf Distanz bleiben.“ Das fiel schwer. Ende 2023 haben wir es mit ausuferndem Antisemitismus zu tun.

In der Regie von Björn Höcke (AfD) konnte ein FDP-Mann zum thüringischen Ministerpräsidenten gewählt werden. Dagegen sprach sich die FDP-Führung aus. Aber das war nicht Befestigung parlamentarischer Arbeit. „Ich hatte mich getäuscht.“

Auf der Lesereise war von Anfang an vorherrschend das Schweigen. Schweigen aus Hilflosigkeit und DDR-Gewohnheit. Es herrscht der Wunsch nach einer autoritären Führung und einem starken Staat.

„Die Gewalt ist ein brachialer Verlust von Distanz, den wir nicht kommen sehen, sonst hätten wir uns ja rüsten und wehren können. Die Gewalt teilt das eigene Erleben in ein Davor und ein Danach. Sie verändert uns. Sie macht uns wütend, ängstlich und traurig.“

Geschwiegen wird insbesondere über unsere Nazi-Vergangenheit. Wir sind unsicher über Waffenlieferungen an die Ukraine und den Umgang mit Geflüchteten.

„Der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland ist lediglich, dass das Schweigen im Osten mehr Schichten hat.“

„Oft hatte ich das Gefühl, dass die Menschen zwar sprechen wollten, aber besonders in kleinen Orten oft Angst haben, nicht die richtigen Worte zu finden oder sich vor ihren Nachbarinnen und Nachbarn zu offenbaren.“

„Ich werde nicht vergessen, wie Frauen von den letzten Kriegstagen in den Städten entlang der Havel erzählten.“

„Nicht vergessen werde ich den Mann, der immer wieder sagte, wie normal doch die ganze Gewalt sei, die in dem Buch geschildert wird. Er sagte das nicht, um die Gewalt abzutun, auch das begriff ich erst später, sondern um den anderen im Raum mitzuteilen, dass es ihm auch so ergangen war und dass er es auch nicht vergessen kann.“

 

4651: Die Documenta braucht exzellentes Führungspersonal.

Sonntag, Januar 7th, 2024

Viele glauben, dass die Documenta nach dem Antisemitismus-Fiasko vom letzten Jahr vor dem aus steht. Hanno Rauterberg (Die Zeit 23.11.23) überlegt, wie sie gerettet werden kann. Denn das Selbstbewusstsein der Documenta-Macher war ja stets erstaunlich und nicht ganz verständlich. Die Findungskommission flog auf mit einer Generalabrechnung. Die postkoloniale und die universalistische Linke bekämpfen sich bis aufs Messer. Entscheidend ist aber, dass die Kunst freibleibt und sich keiner Ideologie unterwerfen muss.

Als im letzten Jahr die Entwicklung dramatisch wurde, war kein Verantwortlicher präsent. Die hatten sich zurückgezogen. Das darf sich auf keinen Fall wiederholen. Denn wir brauchen ja eine Kunst, die das Terrain zwischen den Fronten erkundet und sich Ambivalenzen und Zwischentöne erlaubt. Das geht nicht mit Duckmäusern. Schließlich will Kassel mit der Documenta auch noch Geld verdienen. Wessen es dringend bedarf, ist kundiges und unabhängiges Führungspersonal. Denn jetzt gibt es zu viel unkundige und schreckhafteLeitungsfunktionäre. Parteipolitisch handverlesen. Es braucht Mut und eine entscheidungsfähige Leitungsfigur. Dann ist die Documenta noch lange nicht verloren.

4643: Eine neue Paul Celan-Biografie

Montag, Januar 1st, 2024

Bertran Badiou, der schon 2008 an der Herausgabe des Briefwechsels zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann beteiligt war (Suhrkamp), hat eine neue, umfassende Celan-Biografie vorgelegt:

Paul Celan, Eine Bildbiogrfie. In Zusammenarbeit mit Nicolas Geibel. Mit einem Essay von Michael Kardamitsis. Berlin (Suhrkamp) 2023, 580 Seiten, 68 Euro.

Sie enthält vieles bislang Unbekannte. Auch Leerstellen und Räume für Interpretationen. Celans Zeit in Bukarest von Mai 1945 bis Dezember 1947 war bisher von der Forschung vernachlässigt. Mit dem deutschen Literaturbetrieb hatte Paul Celan von Anfang an Probleme. Er sah sich in Paris als „Partisan des erotischen Absolutismus“. Lebenslang musste er sich gegen die Vereinnahmung als Dichter der „Todesfuge“ verteidigen. Claire Goll denunzierte ihn. Die deutsche nationalkonservative Literaturkritik (etwa Günter Blöcker und Rolf Schroers) ertrug ihn nicht wegen seiner deutlichen politischen Anklage.

Paul Celan hatte nicht nur eine Beziehung mit Ingeborg Bachmann, sondern auch mit Ilana Shmueli (Briefwechsel bei Sehrkamp 2004), Brigitta Eisenreich, Gisela Dischner und Inge Wern. Badious Biografie enthält Celans komplette Krankengeschichte, die letztlich zum Selbstmord 1970 führte. Celans Verhältnis zur Gruppe 47 war entsprechend ambivalent. Er bleibt ein erratischer Block in der deutschen Literaturgeschichte (Helmut Böttinger, taz 4.12.23).

4630: Hanna Schygulla 80

Samstag, Dezember 23rd, 2023

Die 1943 geborene Hanna Schygulla war mit ihren Eltern aus Schlesien geflohen. Bei Rainer Werner Fassbinder wurde sie ein Star, später ein Weltstar. In der Münchener Filmszene um 1970 gab es viele miteinander verfeindete Potenzen. Der kleine Schwule und große Regisseur Fassbinder erkannte Schygullas Kapazität und förderte sie. Nebenbei galt sie als schönste Frau von ganz München. „Liebe ist kälter als der Tod“, „Katzelmacher“, „Warnung vor einer heiligen Nutte“, „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, „Acht Stunden sind kein Tag“ und schließlich „Effi Briest“ machten Hanna Schygulla zum Star.

Sie blieb sich treu, autonom, wohnte nicht mit den anderen, machte sich nicht abhängig. Sie spielte bei anderen Regisseuren. Etwa Wim Wenders. „Falsche Bewegung“. Ja, das waren noch Filme. In der „Ehe der Maria Braun“ (1978) wurde Deutschland auf den Begriff gebracht.  Die Männer kamen geschwächt aus dem Krieg, und die Frauen übernahmen das Kommando. Aber nicht allzu lange. Es folgte dann noch „Lili Marleen“. In allen Filmen verkörperte Schygullas Langsamkeit ihre Unantastbarkeit. Einmalig (Willi Winkler, SZ 23./24./25./26.).

4597: Große Kunst bleibt wichtig.

Sonntag, November 26th, 2023

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass in der Kunst die Maßstäbe verschwinden. Die Findungskommission der Documenta und ein Kurator der Fotografie-Biennale sind zurückgetreten. „Offensichtlich unterschätzen manche Kuratoren und Künstlerinnen den islamistischen Terror der Hamas und seine Folgen.“ (Kia Vahland, SZ 24.11.23) Es reicht nicht, den kritischen Fokus bei diesen Betrachtungen nur auf Westeuropa und seinen Kolonialismus zu richten. Die imperialistische Macht der Gegenwart ist Russland. Und was werden die widerständigen Schülerinnen aus Teheran wohl über den islamistischen Fundamentalimus denken? Die Künstler und Kuratorinnen sollten ihre Aufmerksamkeit auf die

Bildpolitik im Gazakrieg

richten. „Die Hamas nimmt das entsetzliche Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser, ihre Ohnmacht und ihr Sterben nicht nur in Kauf, sie braucht und will genau diese unerträglichen Bilder, so wie sie zu Anfang des Krieges auch genau die unerträglichen Bilder vom Überfall auf Israel wollte und nutzte.“ Und in Europa können wir nur mit Rücktritten die Kunst nicht retten. Das würde wieder den Rechtspopulisten in die Hände spielen, die nur zu gerne die Kunstszene abwickeln würden. Das Verdienst der Kunst ist es, eine Vielzahl an Perspektiven, Fantasien und Erfahrungen zu zeigen. Große Kunst ist dem Humanismus verpflichtet.

4586: Documenta – vor dem Ende ?

Samstag, November 18th, 2023

Nach dem Antisemitismus-Desaster bei der letzten Documenta, dem vorgeblich wichtigsten Kunstereignis der Welt, gehen die grotesken Patzer munter weiter. Mittlerweile ist die sechsköpfige Findungskommission zurückgetreten. Sie hätte die neue Leitung der Ausstellung bestimmen sollen. Was folgt nun? Es ist nur noch wenig Vertrauen da. Im Aufsichtsrat bestimmen das Land Hessen und die Stadt Kassel, der Bund hat sich zurückgezogen. Da geht es dann vorzugsweise gegen Berlin. Wie bei einem Dorf- und Brauchtumsfest. Dabei hat die Documenta Deutschland nach 1945 seinen Platz in der Kunstwelt zurückgebracht. Die Rede ist ständig von der „Kunstfreieit“. Aber die findet ihre Grenze dort, wo die Kunst diskriminierend und verletzend wird. Da war Kassel wohl micht gut beraten, ehemalige Documenta-Leiter die Findungskommission bestimmen zu lassen. Derzeit gibt es „anscheinend keinen Raum für einen offenen Austausch von Ideen“. Wie will man da geeignete Kuratoren und Künstler finden? (Jörg Häntzschel, SZ 18./19.11.23)

Es sei noch der Hinweis gestattet, dass Kassel mit der Documenta viel Geld verdienen will.

4582: Documenta-Findungskommission in der Krise

Dienstag, November 14th, 2023

Nachdem die israelitische Künstlerin und Philosophin Bracha Lichtenberg Ettinger aus der Documenta-Findungskommission zurückgetreten war, ist nun das indische Kommissionsmitglied Ranjit Hoskote zurückgetreten. Er hatte einen antisemitischen BDS-Aufruf unterzeichnet. Dafür war er von der Leitung zu Gesprächen gebeten worden. Die Findungskommission soll in den kommenden Wochen die Leitung der Documenta 16 vorschlagen, die 2027 in Kassel stattfindet. Hoskote gibt sich erstaunt und beleidigt. Er sei erschüttert, dass aufgrund „einer einzigen Unterschrift“ der „ungeheuerliche Vorwurf des Antisemitismus“ erhoben werde. Hier wird deutlich, dass die Mahatma Ghandi-Fans noch nichts begriffen haben. Für sie ist Zionismus „eine rassistische Ideologie, die einen siedlerkolonialistischen Apartheidsstaat verlangt, in dem Nichtjuden nicht die gleichen Rechte haben“ (Jörg Häntzschel, SZ 13. und 14.11.23).

4576: Claudia Roth (Grüne) droht Documenta mit Geldentzug.

Samstag, November 11th, 2023

Bundeskulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) droht der Documenta mit dem Entzug von Geld. Ein Mitglied der Findungskommission hatte eine antisemitische BDS-Erklärung unterzeichnet. Ungefähr so wie schon bei der letzten Documenta (SZ 11./12.11.23).