Archive for the ‘Literatur’ Category

4758: Bayern verbietet das Gendern.

Mittwoch, März 20th, 2024

An bayerischen Schulen, Hochschulen und Behörden ist das Gendern verboten. Das hat das bayerische Kabinett beschlossen. Damit wurde die allgemeine Geschäftsordnung geändert. Schreibweisen mit Wortbinnenzeichen wie Gender-Gap, Genderstern, Doppelpunkt oder Mediopunkt sind damit verboten (SZ 20.3.24).

4744: 2024: 96. Oscar

Sonntag, März 10th, 2024

Die 96. Academy Awards werden in Hollywood verliehen. Bei aller Kritik finden sie überwiegend Aufmerksamkeit und Anerkennung. Sie spiegeln eine bemerkenswerte Internationalisierung der Filmwelt. Die deutsche Schauspielerin

Sandra Hüller

ist als beste Schauspielerin nominiert (die erste seit Luise Rainer in Stummfilmzeiten) für den französischen Film

„Anatomie eines Falls“,

der auch die Goldene Palme von Cannes gewonnen hat. Aber auch für den englischen

„The Zone of Interest“,

in dem sie die Frau des KZ-Kommandanten Rudolf Höß spielt.

Die gegenwärtige Lage bei der Oscar-Verleihung ist auch eine Folge des Booms bei den Streamingdiensten. Das Publikum in aller Welt ist inzwischen an Untertitel gewöhnt. Der Regisseur Wim Wenders kandidiert mit dem japanischen „Perfect Days“. Ein anderer deutscher Regisseur, Ilker Catak, ist mit „Das Lehrerzimmer“ nominiert. Er musste die Kinopublizistik zunächst darauf aufmerksam machen, dass er sich als deutscher Hoffnungsträger zu wenig gewürdigt sah. Das könnte zutreffend sein, betrifft auch andere. Als Favorit für den Hauptpreis gilt Christopher Nolans „Oppenheimer“ (Tobias Kniebe, SZ 9./10.3.24).

Wir drücken Sandra Hüller die Daumen.

4699: Stellvertretende SZ-Chefredakteurin unter Druck

Donnerstag, Februar 8th, 2024

Die stellvertretende Chefredakteurin der SZ, Alexandra Föderl-Schmid, wird beschuldigt, beim Verfassen von Texten unsauber mit Quellen umgegangen zu sein und dadurch journalistische Standards verletzt zu haben. Das behaupten mehrere Medien. Nun soll eine Kommission aus dem ehemaligen „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann, der Leiterin der Münchener Journalistenschule Henriette Löwisch und dem Eichstädter Journalistikprofessor Klaus Meier die Angelegenheit klären. Inzwischen hat Frau Föderl-Schmid die Universität Salzburg (Österreich) gebeten, ihre dort 1996 eingereichte Dissertation zu prüfen, weil der Salzburger Plagiatsforscher  Stefan Weber „Plagiatsfragmente“ darin entdeckt zu haben glaubt. Bis zur KLärung des Falls zieht sich Frau Föderl-Schmid aus dem operativen Geschäft der SZ zurück (SZ 8.2.24).

4694: Oskar Negt ist tot.

Sonntag, Februar 4th, 2024

Im Alter von 89 Jahren ist der Soziologe Prof. Dr. Oskar Negt (Hannover) gestorben. Er war eine der Leitfiguren der freischwebenden Linken und insofern anfällig für Fehler. Der ostpreußische Bauernsohn hatte im Sinne der „kritischen Theorie“ in Frankfurt/Main Sozialwissenschaften studiert und bei Theodor W. Adorno promoviert. Die Erschießung Benno Ohnesorgs durch einen Stasi-Agenten 1967 in West-Berlin hat auch Negts Weg stark bestimmt. Bei ihm gab es nicht nur Marx und Engels, sondern als Theoretiker auch Karl Korsch, Peter Weiss und Peter Brückner, in dem Sinne war er unorthodox.

In seinen Hauptwerken

„Öffentlichkeit und Erfahrung“ (mit Alexander Kluge) und

„Geschichte und Eigensinn“

hat Negt sogar Einfluss genommen auf die Massenkommunikationsforschung der Bundesrepublik, auch wenn seine Werke wohl nicht von allzu vielen gelesen worden sind. Seine Theorie hatte eine klar anti-leninistische Linie, weil Oskar Negt den Autoritatismus W.I. Lenins und dessen Gewalthaltigkeit (Massenmord) ablehnte, Gewaltlosigkeit war seine Leitlinie. Ein großes Lob für Oskar Negt ist die Aussage von Ulrike Meinhof, er sei „das Schwein“. Horst Mahler erklärte, „Negt war unser Feind“. Negt hat mit dazu beigetragen, dass Joschka Fischer linken Gewaltfantasien abschwor und sich auf die Vernunft besann. Das nehmen ihm auf der Linken heute noch viele übel. Gerhard Schröder hat Oskar Negt gar nicht verstanden.

Wenn von den verbliebenen Anhängern Negts im Hinblick auf den Ukrainekrieg pazifistische Unterwerfung gefordert wird, so ist das schlüssig und gleichzeitig kennzeichnend für ihre falsche Politik.

4693: Förderung von Brennpunktschulen

Samstag, Februar 3rd, 2024

Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, gemeinsam Brennpunktschulen zu fördern. Die Kultusministerkonferenz stimmte dem am Freitag zu. Damit sollen die Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen gestärkt werden. Mit jährlich zwei Milliarden Euro sollen über zehn Jahre 4000 Schulen unterstützt werden. Profitieren davon sollen etwa eine Million Schüler. Ausgewählt werden die Schulen von den Bundesländern (SZ 3./4.2.24).

4689: Elisabeth Trissenaar ist gestorben.

Mittwoch, Januar 31st, 2024

Im Alter von fast 80 Jahren ist Elisabeth Trissenaar gestorben. Sie war eine der großen Schauspielerinnen des deutschen Theaters und des jungen deutschen Films. Fast lebenslänglich war sie dem Regisseur Hans Neuenfels, ihrem Ehemann, verbunden. Das war eine bewegliche und bewegte Arbeitsgemeinschaft. Neuenfels ist 2022 mit 80 Jahren gestorben. Elisabeth Trissenaar hat viele große Rollen gespielt: Medea, Elektra, Iphigenie, Penthesilea, Nora, Hedda Gabler. Sie verfügte über ein großes sprachliches Register. Privat klang manchmal ein weiches Wienerisch der Wienerin durch. In Rainer Werner Fassbinders „Bolwiesers“ hatte sie eine ihrer größten Rollen. Manchmal suchte Trissennar die Flucht, den Rückzug in Launen und Attitüden. Denen, die sie gesehen haben, ist sie unvergessen (Peter Kümmel, Zeit 18.1.24).

4676: Angela Winkler 80

Montag, Januar 22nd, 2024

Schon in ihren ersten Filmen kam sie groß heraus, die kluge, eigensinnige und selbstbewusste Angela Winkler, die jetzt 80 wird, 1944 in der Uckermark geboren: „Jagdszenen in Niederbayern“ (Martin Sperr 1969), „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (Volker Schlöndorfff 1975) und „Die Blechtrommel“ (Volker Schlöndorff 1979). Sie galt als das Gesicht des jungen deutschen Films. Kürzlich noch war sie in „Sisi & ich“ zu sehen.

Aber ihre eigentliche Liebe gilt dem Theater. Die „Zauberfrau“ war am Burgtheater und am Berliner Ensemble. Claus Peymann hat über sie gesagt: „Wir abgemagerten Regisseure der Aufklärung, wie Peter Stein und ich, haben für diese Wunderblume nicht so das Händchen. Entweder man ist vor ihr auf den Knien, oder man scheitert. Aber an Angela Winkler zu scheitern, ist das schönste Scheitern der Welt.“ Sie hat große Erfolge unter der Regie von Peter Zadek und Robert Wilson gefeiert. 2019 veröffentlichte Winkler ein eigenes Buch. Darin beschreibt sie u.a. ihr Leben mit ihrem Mann, einem Bildhauer, und vier Kindern in der Bretagne. An ihrem Geburtstag ist sie im Berliner Ensemble in Christian Krachts „Eurotrash“ mit Joachim Meyerhoff zu sehen (Christine Dössel, SZ 22.1.24).

4655: Anne Rabe „Die Möglichkeit von Glück“

Mittwoch, Januar 10th, 2024

Anne Rabes Debütroman „Die Möglichkeit von Glück“ stand 2023 wochenlang auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. Sie erzählt darin eindrücklich von ihrem Aufwachsen in der DDR. Bei der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 war sie ein Kind. Nun schreibt sie sogar selbst in der „taz“ (30.12.23-5.1.24) über ihren Roman und ihre Erfahrungen auf einer ausgedehnten Lesereise. Ich beschreibe das hier in meinen Worten meist in der Perspektive von Anne Rabe und mit Zitaten (aus der „taz“).

Beschrieben wird die Geschichte einer SED-Familie und die von Gewalt im Staat, in der Familie und durch Krieg und Armut, die bis heute nachwirkt. Immer wieder wurde Frau Rabe auf ihrer Lesereise gefragt: „Ist dieser Text autobiografisch?

„Was die Erzählerin umtreibt, das hat auch mich beim Schreiben umgetrieben. Die Fragen, die sie sich stellt, habe ich mir oft gestellt.“

Die Folgen der Wiedervereinigung kamen sehr deutlich zum Vorschein mit Pegida 2014 und der Migrantenkrise 2015. Der Rechtsruck fand nicht nur in Ostdeutschland statt, aber da hat bis heute sein finsteres Zentrum. Das Wahlverhalten in Ost und West ist noch immer unterschiedlich. Rabe hat über ihr Aufwachsen nachgedacht.

„Manchmal erschraken wir über das, was man uns zugemutet hatte, und das, was wir einander zugemutet hatten.“

In der Agonie der DDR vor 1989: „Umgeben von Erwachsenen, die selbst nicht mehr wussten, wo oben und unten ist un die keine Kapazitäten für die Bedürfnisse ihrer Kinder frei hatten.“

Ein Freund von Anne Rabe riet: „Du musst auf Distanz bleiben.“ Das fiel schwer. Ende 2023 haben wir es mit ausuferndem Antisemitismus zu tun.

In der Regie von Björn Höcke (AfD) konnte ein FDP-Mann zum thüringischen Ministerpräsidenten gewählt werden. Dagegen sprach sich die FDP-Führung aus. Aber das war nicht Befestigung parlamentarischer Arbeit. „Ich hatte mich getäuscht.“

Auf der Lesereise war von Anfang an vorherrschend das Schweigen. Schweigen aus Hilflosigkeit und DDR-Gewohnheit. Es herrscht der Wunsch nach einer autoritären Führung und einem starken Staat.

„Die Gewalt ist ein brachialer Verlust von Distanz, den wir nicht kommen sehen, sonst hätten wir uns ja rüsten und wehren können. Die Gewalt teilt das eigene Erleben in ein Davor und ein Danach. Sie verändert uns. Sie macht uns wütend, ängstlich und traurig.“

Geschwiegen wird insbesondere über unsere Nazi-Vergangenheit. Wir sind unsicher über Waffenlieferungen an die Ukraine und den Umgang mit Geflüchteten.

„Der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland ist lediglich, dass das Schweigen im Osten mehr Schichten hat.“

„Oft hatte ich das Gefühl, dass die Menschen zwar sprechen wollten, aber besonders in kleinen Orten oft Angst haben, nicht die richtigen Worte zu finden oder sich vor ihren Nachbarinnen und Nachbarn zu offenbaren.“

„Ich werde nicht vergessen, wie Frauen von den letzten Kriegstagen in den Städten entlang der Havel erzählten.“

„Nicht vergessen werde ich den Mann, der immer wieder sagte, wie normal doch die ganze Gewalt sei, die in dem Buch geschildert wird. Er sagte das nicht, um die Gewalt abzutun, auch das begriff ich erst später, sondern um den anderen im Raum mitzuteilen, dass es ihm auch so ergangen war und dass er es auch nicht vergessen kann.“

 

4651: Die Documenta braucht exzellentes Führungspersonal.

Sonntag, Januar 7th, 2024

Viele glauben, dass die Documenta nach dem Antisemitismus-Fiasko vom letzten Jahr vor dem aus steht. Hanno Rauterberg (Die Zeit 23.11.23) überlegt, wie sie gerettet werden kann. Denn das Selbstbewusstsein der Documenta-Macher war ja stets erstaunlich und nicht ganz verständlich. Die Findungskommission flog auf mit einer Generalabrechnung. Die postkoloniale und die universalistische Linke bekämpfen sich bis aufs Messer. Entscheidend ist aber, dass die Kunst freibleibt und sich keiner Ideologie unterwerfen muss.

Als im letzten Jahr die Entwicklung dramatisch wurde, war kein Verantwortlicher präsent. Die hatten sich zurückgezogen. Das darf sich auf keinen Fall wiederholen. Denn wir brauchen ja eine Kunst, die das Terrain zwischen den Fronten erkundet und sich Ambivalenzen und Zwischentöne erlaubt. Das geht nicht mit Duckmäusern. Schließlich will Kassel mit der Documenta auch noch Geld verdienen. Wessen es dringend bedarf, ist kundiges und unabhängiges Führungspersonal. Denn jetzt gibt es zu viel unkundige und schreckhafteLeitungsfunktionäre. Parteipolitisch handverlesen. Es braucht Mut und eine entscheidungsfähige Leitungsfigur. Dann ist die Documenta noch lange nicht verloren.

4643: Eine neue Paul Celan-Biografie

Montag, Januar 1st, 2024

Bertran Badiou, der schon 2008 an der Herausgabe des Briefwechsels zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann beteiligt war (Suhrkamp), hat eine neue, umfassende Celan-Biografie vorgelegt:

Paul Celan, Eine Bildbiogrfie. In Zusammenarbeit mit Nicolas Geibel. Mit einem Essay von Michael Kardamitsis. Berlin (Suhrkamp) 2023, 580 Seiten, 68 Euro.

Sie enthält vieles bislang Unbekannte. Auch Leerstellen und Räume für Interpretationen. Celans Zeit in Bukarest von Mai 1945 bis Dezember 1947 war bisher von der Forschung vernachlässigt. Mit dem deutschen Literaturbetrieb hatte Paul Celan von Anfang an Probleme. Er sah sich in Paris als „Partisan des erotischen Absolutismus“. Lebenslang musste er sich gegen die Vereinnahmung als Dichter der „Todesfuge“ verteidigen. Claire Goll denunzierte ihn. Die deutsche nationalkonservative Literaturkritik (etwa Günter Blöcker und Rolf Schroers) ertrug ihn nicht wegen seiner deutlichen politischen Anklage.

Paul Celan hatte nicht nur eine Beziehung mit Ingeborg Bachmann, sondern auch mit Ilana Shmueli (Briefwechsel bei Sehrkamp 2004), Brigitta Eisenreich, Gisela Dischner und Inge Wern. Badious Biografie enthält Celans komplette Krankengeschichte, die letztlich zum Selbstmord 1970 führte. Celans Verhältnis zur Gruppe 47 war entsprechend ambivalent. Er bleibt ein erratischer Block in der deutschen Literaturgeschichte (Helmut Böttinger, taz 4.12.23).