4700: Alfred Grosser ist tot.

Mit Alfred Grosser ist einer der größten Politologen Frankreichs und Europas im Alter von 99 Jahren gestorben. Er war Wegbereiter der deutsch-französischen Freundschaft, hatte das Bundesverdienstkreuz, war Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels und Träger des höchsten Grades der französischen Ehrenlegion. Wer ihn gekannt hat, schätzte seinen Witz und seine Diskussionslust (im deutschen Fernsehen war er bekannt). Er war höflich, zuvorkommend und bescheiden (von Ausnahmen abgesehen).

Alfred Grosser ist 1925 in Frankfurt am Main geboren und verließ mit seiner jüdischen Familie 1933 Deutschland. Klug. Grossers Vater hatte im Ersten Weltkrieg vier Jahre als Frontoffizier für Deutschland gekämpft. Als die Deutschen 1940 Frankreich überfielen, musste Alfred Grosser mit seiner Familie nach Südfrankreich fliehen, später in die Alpen. Mehrere Verwandte in Deutschland wurden von den Nazis ermordet.

1955 wurde Grosser Professor an der Eliteuniversität „Sciencs Po“. Er hat ungefähr 30 wissenschaftliche Bücher verfasst. Er bestand darauf, dass jeder Mensch über mehrere Identitäten verfüge. Er selbst z.B. als Pariser, Familienvater (vier Söhne) und Hochschullehrer. Der Atheist mit Sympathien für das christliche Wertesystem hat sich auch stets erlaubt, Israels Politik zu kritisieren. Vorwürfe des Antisemitismus nahm er in Kauf. „Unsere Werte sind Werte für alle.“

„Der Beweis, dass ich Franzose bin, ist, dass ich mich überschätze.“ Über den späteren französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und den IWF-Chef Dominique Strauß-Kahn, die an der Sciences Po studiert hatten, sagte Grosser: „Wenn sie alle meine Vorlesungen besucht hätten, wäre Frankreich bestimmt ein besseres Land.“ Er hatte den Algerienkrieg verurteilt. In der Gegenwart kritisierte er die Deutschen für ihre „Selbstgefälligkeit“ und ihren „recht feigen Pazifismus“. In seinem eigenen Institut kämpfte er gegen die Benachteiligung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb (Stefan Ulrich, SZ 9.2.24).

Alfred Grosser eignet sich als Vorbild.