3305: Wer darf Amanda Gorman übersetzen ?

Weltberühmt wurde die junge schwarze US-Lyrikerin

Amanda Gorman,

als sie bei der Amtseinführung von Joe Biden ihr zur Versöhnung aufrufendes Gedicht „The Hill We Climb“ vortrug. Sie lieferte damit einen substanziellen Beitrag zum Ende der faschistoiden Ära Trump. In Deutschland ist ein dreiköpfiges Übersetzerinnen-Team dabei, im Auftrag des Verlags Hoffmann und Campe das Gedicht zu übersetzen.

In den Niederlanden, die generell offener und wagemutiger sind als andere westliche Staaten, hatte der Verlag Meulenhoff in Absprache mit Gorman, der Booker-Preisträgerin Marieke Lucas Rijneveld, 29, die Übersetzung anvertraut. Sie ist weiß und „non-binär“. Daraufhin hatte Rijneveld begeistert getwittert „Prachtig nieuws“. Drei Tage später kritisierte die schwarze niederländische Journalistin Janice Deul in der Zeitung „De Volkskrant“ diese Wahl und fragte, warum man nicht eine junge, weibliche und „unapologetically black“ Person für die Übersetzung gewonnen hatte. Daraufhin gab Rijneveld ihren Übersetzungsauftrag „schockiert“ zurück und zeigte Verständnis für die Kritik.

Ein Skandal?

Auf jeden fall ein Beispiel für Cancel Culture, in dem der Autorin das Recht abgesprochen wird, selbst zu entscheiden, wer ihre Texte übersetzen soll. Die SZ sprach von „Entmündigung“. „Von der ist Marieke Lucas Rijneveld nur in erster Linie betroffen. Letztlich trifft es auch Amanda Gorman, die – angefragt – dazu verurteilt wird, vor allem als Schwarze wahrgenommen zu werden.“

Einmal abgesehen davon – und das wissen wir Literaturliebhaber ganz genau –

dass Lyrik überhaupt nicht übersetzbar ist,

stellt jede Übertragung in eine andere Sprache ein Wagnis dar. Marieke Lucas Rijneveld hat ihre Beweggründe jetzt in ein Gedicht verwandelt, das die FAZ publiziert hat. Früher schon gab es ähnliche Projekte, etwa da, wo Miriam Mandelkow (in den Niederlanden geboren, weiß, non-binär) James Baldwins Werke für Deutsche verständlich ins Deutsche übersetzt hatte. „Eine Übersetzung ist nie identisch mit dem Original. Sie bleibt Text.“ (Tobias Rüther, FAS 7.3.21)