3274: Klaus Theweleit: Warum mordete Tobias R. aus Hanau.

Klaus Theweleit hatte uns 1977 seine „Männerphantasien“ geliefert. 2015 erschien von ihm

„Das Lachen der Täter. Breivik und andere.“

Seine Erkenntnisse wendet er auf den Mörder von Hanau, Tobias R., an (taz 13./14.2.21).

1. Das Ziel des Mörders: die Elimination dessen, was ihn „bedroht“. Das war das gleiche bei den Mördern in Hanau, Halle, München, Utoya, Christchurch, Charleston, Philadelphia etc.

2. Für Tobias R. mussten rund zwei Dutzend Völker von Marokko bis zu den Philippinen vernichtet werden.

3. Die Morde von Einzeltätern in den letzten Jahrzehnten waren stets sorgfältig vorbereitet.

4. Der Tätertyp ist der des „einsamen Wolfs“, der es nicht geschafft hat, tragfähige persönliche und soziale Bindungen aufzubauen.

5. Tobias R. hatte seit 18 Jahren keine Beziehung mehr zu einer Frau.

6. In der Vorstellung der Täter steuern geheime Zirkel die Welt: Juden, Muslime, Kulturmarxisten.

7. Der Täter selbst ist ein „Auserwählter“.

8. Tobias R. hat neun Menschen ermordet. Fünf von ihnen mit deutschen Pässen, aber mit folgenden „Herkünften“: kurdisch, türkisch, bosnisch, rumänisch, bulgarisch, polnisch, darunter drei Roma.

9. Die Opfer sollen Juden, Schwarze, Muslime, „Ungläubige“ sein.

10. Wissenschaftliche Begriffe wie Schizophrenie und Narzissmus reichen heute nicht mehr aus, die mörderischen Phänomene voll zu erfassen. Das genügt nicht für die paar Hundert Killer.

11. Die Analytiker hängen noch an den alten Bezeichnungen wie Chrakter, Persönlichkeit, Individuum, Mensch.

12. Wir haben es heute mit Segment-Ichs zu tun, die sich aus vielerlei Spaltungen zusammensetzen.

13. Der Einzelne ist ein Split-Ego. Gerade damit werden die Killer nicht fertig. Sie verlangen die Wiederherstellung der nicht haltbaren Einheitlichkeit des Subjekts.

14. Dazu nehmen sie Nation, Rasse, Natur, Geschlecht.

15. Getötet werden müssen diejenigen, die mit der realen Uneinheitlichkeit leben können.

16. Die Killer leben in einer weitgehend halluzinativ wahrgenommenen Welt.

17. Die Bedrohung kommt aus dem Inneren und der Entwicklung eines „Fragmentkörpers“. Es ist kein Körper herangewachsen, der beziehungsfähig ist.

18. Vermindert sind die Beziehungsfähigkeit, die Liebespotenz und die Zuneigungsenergie.

19. Die Welt wird zwanghaft hierarchisch geordnet, Gleichheitsforderungen bedrohen körperlich.

20. Es herrscht die Angst, verschlungen zu werden, den Boden unter den Füßen zu verlieren, schwindlig zu werden.

21. Die äußeren Ursachen der Bedrohung sind die Fremden, die Farbigen, das Verschlingende des weiblichen Körpers.

22. „Natürlich ist dann ein ‚rechter‘ Körper in Meck-Pomm oder Hessen bedroht, wenn ein Iraner illegal die bayerische Landesgrenze überschreitet.“

23. Je stärker die inneren Ängste, desto bedrohlicher die Außenwelt: nur Feinde. Wenn solche Wahrnehmung bestimmend wird, kann oder muss womöglich geschossen werden.

24. Eine Zeitung: „Den Sicherheitsbehörden war R. bis zum Mittwochabend nicht aufgefallen.“