3577: Bernard-Henri Lévy: Ein Lob der Bundestagswahl

Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy, geb. 1943, lobt die deutsche Bundestagswahl von 2021. Er bemüht dazu Philosophie und Philosophiegeschichte und formuliert für manche von uns sehr gelehrt (SZ 29.9.21):

„Diese deutsche Wahl war eine ganz und gar außergewöhnliche Wahl. Da ist einmal die Wahlbeteiligung von mehr als 76 Prozent, die, auch dank der Briefwahl, die Lebendigkeit dieser Demokratie bezeugt. Es war eine Wahl, in der die radikale Linke nicht einmal die Fünf-Prozent-Hürde schaffte. In der die radikale Rechte immer noch zu stark ist, aber doch viel schwächer als in meinem Land. Obendrein wird die radikale Rechte durch den cordon sanitaire ausgegrenzt, eine Art Hygieneabstand, den die beiden großen Parteien, ohne viel Aufhebens darum zu machen, um diese AfD gezogen haben.“

„Aber anders als bei uns in Frankreich waren in Deutschland weder der Islam noch die Zuwanderung ein Thema.“

„Sie (Angela Merkel, W.S.) wird zum Symbol eines anderen Deutschlands. Ihr Leben beginnt wie das einer Protagonistin von Herta Müller, mutiert dann zu einer Geschichte von der eisernen Erbin eines Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller. Was für eine Metamorphose der stets unterschätzten Frau, die ‚das Mädchen‘ genannt wird und dann mit der Effizienz eines Macchiavelli, der Coolness eines Brutus und der strategischen Finesse eines Cassius den von seiner eigenen Autorität berauschten Riesen Helmut Kohl zu Fall bringt. Die dann noch Gerhard Schröder außer Gefecht setzt, der, bevor er sich an Putin verkaufte, den Fehler begangen hatte, auf sie herabzublicken.“

„Die Dämonen des Extremismus, des Hasses und der Fremdenfeindlichkeit fanden bei dieser deutschen Wahl – nehmt alles nur in allem – wirksame Blitzableiter. Heute kann man feststellen: Das Land der Frankfurter Schule und des Verfassungspatriotismus, die kulturelle Heimat von Kant und des kategorischen Imperativs, jene von Hölderlin und seiner Wanderer, die ihr Nationalbewusstsein in der Dialektik mit dem Fremden ausbilden, das Land von Nietzsche und seinem Horror vor jeder bigotten Selbstzufriedenheit – dieses Deutschland erteilt der Welt, insbesondere Frankreich, eine schöne Lehrstunde in Demokratie. Danke, Deutschland.“