3897: Garri Kasparow über Putin und Deutschland

Der 1963 in Baku (damals Sowjetunion) geborene aserbeidschanische Schachweltmeister Garri Kasparow lebt seit 2013 mit seiner dritten Frau und zweien seiner drei Kinder in den USA. Mit 22 wurde er Schachweltleister und hat seinen Titel vielfach verteidigt. 2005 zog er sich vom Schach zurück. In Russland gehörte er zur Opposition. Tanja Rest (SZ 11./12.6.22) hat er ein Interview gegeben.

SZ: 2015, nach der Besetzung der Krim, ist ein Buch erschienen, dass Sie „Winter is Coming“ genannt haben, nach Ihrer Lieblingsserie „Game of Thrones“. Wenn man es heute liest, ist es verblüffend, wie präzise Sie Putins nächste Schritte vorhergesagt haben.

Kasparow: Jahre bin ich für dieses Buch geächtet worden. Dabei gab es genügend Vorzeichen, und alle deuteten auf Krieg hin. Die Geschichte zeigt: Diktatoren sagen uns immer, was sie als Nächstes tun werden. Wie Hitler in „Mein Kampf“. Die Annexion der Krim war ein Test – null Reaktion aus dem Westen, das war eine Einladung für Putin. Ich wusste, dass er nicht stoppen würde. Er wollte die russisch-imperiale Grandeur zurückerobern, und ohne die Ukraine gibt es kein russisches Reich.

SZ: Sie lassen keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass Sie recht hatten.

Kasparow: Weil ich Putin zugehört habe und nicht will, dass die Zukunft von Leuten bestimmt wird, die immer noch glauben, man könnte mit ihm verhandeln!

SZ: Mit der Rolle Deutschlands sind Sie auch nicht besonders glücklich.

Kasparow: Mit Deutschland ist es eine Hängepartie. Scholz! Ich frage mich, ob er als Kanzler angetreten wäre, wenn er geahnt hätte, dass er jeden Morgen vor Angst schwitzend aufwachen würde: Soll ich Panzer nach Charkiw schicken oder nicht? … Wer hätte gedacht, dass die Grünen die entschiedenste Kriegspartei sein würden? Aber so ist das in der Geschichte. Jahrelang passiert nichts, und dann passiert alles innerhalb weniger Monate.

SZ: Sie waren es einmal gewohnt, Ihren Gegnern in die Augen zu sehen. Putin hingegen muss in Ihrem Leben so etwas wie ein Phantom sein.

Kasparow: Er ist ein geistloser Mann mit einem kriminellen Hintergrund, aufgewachsen auf den Straßen von Leningrad, geschult vom KGB. Der Mann ist mental krank, warum sollte ich mit ihm reden wollen?