3873: Der Holocaust bleibt einmalig.

Der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München, Andreas Wirsching, räsoniert über die Einmaligkeit des Holocaust (Die Zeit 5.5.22):

1. Der Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine könnte die deutsche Erinnerungskultur massiv verändern.

2. Der Holocaust könnte relativiert werden.

3. In den fünfziger Jahren fanden konservative Historiker einen bequemen Ausweg aus dem deutschen Geschichtsdilemma des Nationalsozialismus, in dem sie diesen als ein Resultat der Vermassung und Vereinzelung des Menschen verstanden.

4. Verbunden damit wurde die „Dämonisierung“ Adolf Hitlers und seine Charakterisierung als Alleinschuldiger.

5. Solche Vorstellungen machen sich in der Geschichtswissenschaft allmählich wieder breit.

6. Manche der entsprechenden Äußerungen sind antisemitisch unterlegt.

7. Der Holocaust soll in die postkoloniale Betrachtung des Kolonialismus integriert werden.

8. Die genozidale Niederschlagung des Herero-Aufstands 1904 durch kaiserliche Truppen habe eine Vernichtungskapazität begründet, an deren Ende Auschwitz stehe.

9. Die singuläre Betrachtung des Holocaust sei „provinziell“.

10. So würde begonnen, die verbrecherischen Vergangenheiten gegeneinander aufzurechnen.

11. Die Kaiserzeit wird als einigermaßen demokratisch charakterisiert.

12. Einen deutschen „Sonderweg“ habe es nicht gegeben.

13. Das klingt so, als habe der deutsche Nationalstaat von 1871 bis 1945 nicht genug gewalttätige Demokratiefeinde hervorgebracht.

14. 1933 erscheint wie ein zufälliger Betriebsunfall.

15. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari hat kürzlich gemeint, dass die Deutschen nicht mehr beweisen müssten, dass sie keine Nazis seien.

16: Aber: eine Nationalgeschichte, die den industriellen Massenmord an den Juden hervorbrachte, kann nicht geheilt, wiedergutgemacht, durch andere Verbrechen überschrieben oder durch eine weniger auffällige Geschichte ersetzt werden.