3848: Harari: Russland hat bereits verloren.

Der israelische Historiker Yuval Noah Harari (Hebräische Universität Jerusalem) gilt als Wunderkind unter den Geschichtswissenschaftlern. In einem Interview mit Christian Staas (Die Zeit, 21.4.22) äußert er sich erfrischend offen zum russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Wünschenswert wäre es, dass sich einige unserer Hilfs-Intellektuellen davon mehr zu eigen machen würden. Damit aber ist nicht zu rechnen:

„Russland .. hat sich nach 1991 von einem militärischen Abenteuer ins nächste gestürzt, in Tschetschenien, Georgien und Syrien oder bei der Annexion der Krim. Doch diese Kriege haben Russland nicht wirklich groß gemacht. Russland ist eine zweitrangige Macht mit einer scheiternden Wirtschaft. Imperiale Kriege lohnen sich nicht mehr.“

„Russland ist im Grunde nichts anderes als eine Tankstelle mit Atomwaffen. Entscheidend im internationalen Wettstreit aber sind Wissensressourcen und Technologien, die man sich nicht mit Panzern aneignen kann. Man kann eine Ölquelle gewaltsam in Besitz nehmen, aber es wäre zwecklos ins Silicon Valley einzumarschieren, um das dortige Know-how zu erobern.“

„Das Wichtigste ist, dass der Westen zusammensteht. Solange Europa, die USA und die Demokratien Asiens geeint sind, ist der Westen der mit Abstand mächtigste Akteur – stärker als China, stärker als Russland ohnehin, dessen Wirtschaftsleistung unterhalb der italienischen liegt. Entscheidend allerdings für den Zusammenhalt des Westens wird sein, dass er die Kulturkriege zwischen links und rechts und zwischen Liberalen und Konservativen beendet, die ihn zu zerreißen drohen.“

„Europa sollte sich nach dem Krieg mit allen Mitteln für die Ukraine engagieren, das Land wieder aufbauen, es politisch konsolidieren, an Europa anbinden und helfen, es in eine propsperierende Demokratie zu verwandeln. Den Ukrainern jetzt schon diese Perspektive zu eröffnen, halte ich für äußerst wichtig. Das wird sie in ihrer Entschlossenheit stärken, und es wird sich als der beste Schutz Europas gegen ein diktatorisches Russland erweisen.“

„Wenn China sich aktiv an Putins Seite stellt, steuern wir auf neuen kalten Krieg zu, zu dessen ersten Opfern Russland selbst gehören dürfte. Es wird sich in einen chinesischen Satelliten verwandeln. Wenn die chinesische Führung vernünftig agiert, wird sie erkennen, dass es sich nicht auszahlen wird, einen Krieg zu unterstützen, dessen globale ökonomische und politische Folgen auch Chinas Wohlstand und Ansehen in Mitleidenschaft ziehen können. China hat viel zu verlieren.“