3254: Eugen Ruge misstraut dem Gendern.

Eugen Ruge ist 1954 noch in der Sowjetunion geboren und in der DDR aufgewachsen. Der Diplom-Mathematiker war angestellt bei der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin. Seit 1986 hat er als Schriftsteller, Drehbuchautor, Übersetzer und Dokumentarfilmer gearbeitet. 1988 ging er in die BRD. 2011 erschien sein Roman „In Zeiten abehmenden Lichts“, für den er den Deutschen Buchpreis bekam. Darin zeigte Ruge, dass er das SED-Repressionssystem genau kannte und zu schildern wusste. 2019 publizierte er „Metropol“, in dem er demonstrierte, dass er die nationale und internationale kommunistische Nomenklatura der dreißiger Jahre vollständig überschaute.

Nun widmet Ruge sich dem Gendern (Die Zeit 21.1.21), dem er Misstrauen entgegenbringt. Und dies mit der Klarheit, die er aus der DDR-Opposition hat.

1. Am Beispiel des Wortes „Führungskraft“ zeigt er, dass biologisches und grammatikalisches Geschlecht nichts miteinander zu tun haben.

2. „Kein Deutscher meint den Angehörigen einer Ethnie, wenn er das Wort Krawatte benutzt, das – in seiner Mundartform Krawat – ursprünglich einen Kroaten bezeichnet.“

3. Unter „Bürgern“ verstehen wir Frauen und Männer, unter „Menschen“ weibliche und männliche Lebewesen. Das ist das

generische Maskulinum,

das nun vom Duden abgeschafft worden ist.

4. „Die Leiche ist nicht weiblich, weil nur Frauen sterben, sondern weil Substantive auf -e in der Regel weiblich sind. Die deutsche Sonne ist weiblich, aber die italienische männlich. Beim Mond ist es umgekehrt. Woran man sieht: Nicht der Inhalt bestimmt das grammatische Geschlecht, sondern die Endung – und leider auch nicht immer. Warum hat ausgerechnet muschtschina – Mann – im Russischen eine weibliche Endung?“

5. Ruge argumentiert schlüssig: „Die postmoderne Beliebigkeit endet mit einer gewissen Konsequenz im Konzept der alternativen Fakten.“

6. Heute muss man bei einer Immatrikulation an einer US-Universität seine „Rasse“ angeben. Zum Glück besteht man bei blonden Europäern nicht auf „arisch“.

7. „Die Barmherzigkeit, die Christus verkörperte, schlug in inquisitorische Härte um. Die Befreiung der Arbeiter mündete in ihre Versklavung.“

8. „.. die Befreiung von Denken und Sprache scheint gerade in die Reglementierung derselben umzuschlagen.“

9. „.. die übelste aller Revolutionen (die sich zumindest selbst als solche verstand) ist … von Victor Klemperer untersucht worden. Aber auch der Bolschewismus in der Sowjetunion oder der DDR-Sozialismus fanden sich ihre Sprache, die in Nachrichtensendungen und Geschichtsbüchern, bei Gewerkschaftsversammlungen und Studienplatzbewerbungen obligatorisch war.“

10. „Und ich habe mich als Sechzehnjähriger in meine Lehrerin verliebt, nicht in meinen Lehrer – so was soll ja immerhin vorkommen.“ (Kommentar W.S.: Wenn das nochmals vorkommt, ist aber alles verloren.)

11. „Begrüßt die Bahn ihre Fahrgäst*innen , weil Gast regelloserweise grammatisch männlich ist?“

12. „Das Türkische kennt zum Beispiel keine Geschlechter. Dass dies die Gleichstellung in der Türkei auf irgendeine Weise erleichtert hätte, wäre mir allerdings neu.“

13. „Schon heute ist es für einen öffentlichen Sprecher kaum noch möglich, die Genderregeln zu umgehen. Ob man mit einer genderverweigernden Bewerbung noch einen Job an einer Universität bekommt, wage ich zu bezweifeln. Bald wird man sich, ohne genderfest zu sein, auch nicht mehr erfolgreich um einen Studienplatz bewerben können, auch in keinem Ministerium, in keiner Behörde. Bekanntlich ist es den Angestellten der Stadt Hannover schon heute untersagt, bipolare Anreden zu verwenden. Wenn ich mein Bewerbungsschreiben an die Stadt Hannober mit ‚Sehr geehrte Damen und Herren‘ einleite, bin ich bereits durch die Genderkriterien gefallen.“

14. „Und diese Realität beginnt der DDR merkwürdig zu ähneln.“

15. „Wer gendern will, soll es tun. Aber darf das Gendern in Amtsstuben verordnet und durch Beauftragte überwacht werden? Ist Regelung der Sprache bald Sache der Ministerien oder Aufsichtsbehörden? Oder sollen wir es lieber der AfD überlassen, solche Fragen zu stellen?“