3498: Kein Ehrengrab mehr für Oskar Loerke ?

Der Berliner Senat befindet von Zeit zu Zeit über die Ehrengräber der Stadt. Frühestens fünf Jahre nach dem Tod und für zunächst zwanzig Jahre. Das zuständige Bezirksamt übernimmt dann die Kosten der Instandhaltung und Grabpflege. Wie im Juli 2021 im Fall des 1996 gestorbenen Rockmusikers Rio Reiser und des Filmkritikers Karsten Witte (1944-1995). Verlängert wurde u.a. das Ehrengrab für Bertolt Brecht.

Im Fall des Lyrikers Oskar Loerke (1884-1941) wurde das Ehrengrab nicht verlängert.

Das nimmt der Schriftsteller Lutz Seiler („Kruso“) zum Anlass für einen Brief an den Berliner Senat (SZ 20.7.21). Loerke werde der Ehre nicht für wert befunden, „da ein fortlebendes Andenken in der allgemeinen Öffentlichkeit nicht mehr erkennbar ist“. „Hier beginnt das Erschrecken: Wäre es eventuell möglich, mit dieser nicht näher spezifizierten Öffentlichkeit als Maß und im Grunde unwiderlegbarem Argument auch das Erinnern an die Geschichte der Dichtung und das Wirken ihrer Autoren insgesamt abzuschaffen? Bis auf Goethe vielleicht?“

Loerke wurde 1884 in Graudenz (Westpreußen) geboren und ging 1903 zum Studium nach Berlin. Das schloss er aber nicht ab und lebte als freier Schriftsteller. In 25 Jahren hatte er sieben umfangreiche Gedichtbücher vorgelegt. Er schrieb auch anderes und vor allem Tagebücher. Sie zeigen, was am Anfang des Nationalsozialismus „innere Emigration“ bedeutete. Mit 42 Jahren wird Loerke Mitglied der Preußischen Akademie der Künste und zwei Jahre später Sekretär der „Sektion für Dichtkunst“. Bleibende Anerkennung erfährt Loerke von den Kollegen Günter Eich, Wilhelm Lehmann und Hermann Kasack. Vor allem aber von Paul Celan. In der ersten Ausgabe von Peter Huchels „Sinn und Form“ erschien 1949 ein Auszug von Loerkes Gedichten.

Nach der Machtergreifung der Nazis verlor Oskar Loerke seinen Sekretärsposten. Um eine Abmilderung bemüht, strebte er eine Verabschiedung aus gesundheitlichen Grünen an. Die Antwort: „Ärztliche Atteste? Die der Freunde, des Juden Plesch oder des Mitglieds Benn würden nicht genügen.“ Oskar Loerke blieb nichts anderes, als seine Abschau vor der „Gleichschaltung“ zu formulieren. Er sprach von „Schmach“, „Garaus“, „Ekel“ und von einer „Verzweiflung über das Teuflische“. „Ihr Herz ist Kot, verjaucht ihr Hirn,/Was hebt sich noch das Tagegestirn?“

Lutz Seiler: „Verehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Berlin, verehrter Michael Müller! Obwohl nun auch ich mich zu jenen in der allgemeinen Öffentlichkeit nicht Erkennbaren zählen muss, noch dieses letzte öffentliche Wort: Für mich ist Loerkes Werk groß und wertvoll. Und ich bin nicht der einzige Schriftsteller, der auf diese Weise empfindet: Gern wäre ich bereit, Ihnen einen Überblick über die Loerke-Rezeption in der Gegenwartsliteratur zu skizzieren, um ihr Bildnis einer ‚allgemeinen Öffentlichkeit‘ ein wenig zu konkretisieren. Darüber hinaus bin ich sicher, dass es für Oskar Loerkes Bedeutung in der deutschen Literaturgeschichte nicht entscheidend ist, ob ihm von Ihnen die Ehre eines Ehrengrabs entzogen wird oder nicht – Ihrer Begründung dafür möchte ich hiermit widersprochen haben.“