4337: Russland: Sind die materiellen Bedürfnisse stärker als die Propaganda ?

Rüdiger von Fritsch, 70, war von 2014 bis 2019 Borschafter in Russland. Jetzt hat er sein bereits viel zitiertes Buch „Welt im Umbruch. Was kommt nach dem Krieg?“ (Aufbau) vorgelegt. In einem Interview mit Jan Pfaff (taz 20.-26.5.23) macht er klare Aussagen:

„Es gilt in Russland immer noch die alte Frage:

Siegt der Fernseher oder der Kühlschrank?

Triumphiert also die Propaganda, oder sind es die materiellen Bedürfnisse? Im Moment dominiert der Fernseher, aber Putin muss den Punkt fürchten, an dem der Kühlschrank siegen könnte, an dem die russischen Mütter sagen: Wo ist die Schulspeisung für unsere Kinder? Und warum habt ihr schon wieder eine Gesundheitsstation in unserer Kleinstadt geschlossen?“

„Was bei uns oft als Zustimmung zu Putin gedeutet wird, ist im Grunde genommen eine mangelnde Bereitschaft zum Widerspruch. Das weiß auch Putin, weil die russische Soziologie das genau analysiert hat. Es gilt in Russland der alte Satz:

Wer gesenkten Hauptes geht, dem wird der Kopf nicht abgeschlagen.

Den Menschen stecken die

Sowjetzeit und vor allem die Stalinzeit

noch in den Knochen. Und die Instrumente der Repression werden jetzt alle wieder aufgefahren. Jeder weiß, was es bedeutet, wenn er sich auflehnt.“