4059: Literaturnobelpreis für Annie Ernaux

Die 1940 in Lillebonne/Normandie geborene Arbeitertochter Annie Ernaux hat bis 2000 als Lehrerin gearbeitet, zwei Kinder großgezogen, daneben relativ spät mit dem Schreiben begonnen. Das hat sie aber nachhaltig beeinflusst. Und manche Nachahmer gefunden. Mit Ernaux gibt es ein neues autobiografisches Schreiben. Dafür hat sie jetzt – völlig zu Recht – den Literaturenobelpreis bekommen. Ihre Eltern hatten eine kleinen Lebensmittelladen mit Kneipe. 1984 erschien mit „Der Platz“ die Geschichte ihres Vaters, ein Leben unter französischen Klassenverhältnissen. Das Buch über ihre Mutter heißt „Die Scham“, es erzählt u.a. von einem Gewalteinbruch in der Familie. Ernaux blieb stets ganz bei ihren Individuen und schilderte dadurch um so glaubwürdiger die teilweise erbärmlichen französischen gesellschaftlichen Verhältnisse. Auf deutsch erscheinen Ernauxs Bücher seit 2017 bei Suhrkamp in der Übersetzung von Sonja Finck, ein Sprung nach vorne. Zuletzt kam „Das Ereignis“ heraus, die Geschichte eines Schwangerschaftsabbruchs. Insofern sind die Bücher von Ernaux wahrscheinlich gerade für Frauen sehr wichtig. Sie hat auch Theoretiker verarbeitet: Bourdieu, Foucault, Barthes, Lacan, Chomsky, Baudrillard, Ivan Illich. Annie Ernaux ist eine großartige Schriftstellerin (Marie Schmidt, SZ7.10.22).