2916: Helga Schubert blickt zurück auf die DDR.

Für ihre Erzählung „Vom Aufstehen“ hat Helga Schubert den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Mit 80 Jahren. Lange vorher war sie Jury-Mitglied gewesen. In einem Interview mit Felix Stephan (SZ 27./28.6.20) blickt sie zurück auf die DDR.

Zu den Bachmann-Preisträgern aus der DDR Wolfgang Hilbig, Uwe Saeger, Angela Krauß und Katja Lange-Müller sagt sie: „.. die hatten eben alle diese Diktaturerfahrung. Dadurch entsteht ein gewisser Resonanzboden, den haben alle, die aus der DDR kommen und den Humor behalten haben, auch ich. Wenn Sie in einer Diktatur gelebt haben und einigermaßen anständig geblieben sind, also niemanden verraten haben, bekommt man eine gewisse Demut gegenüber allen Leuten, die auch in solchen Zwangslagen leben.“

Zu ihrem Buch „Das verbotene Zimmer“, das nur in der Bundesrepublik erscheinen durfte: „Es ging ja diesem maroden, bankrotten Land immer nur darum, irgendwie Devisen zu beschaffen, deswegen haben sie mir erlaubt, das Buch bei Luchterhand zu veröffentlichen. Die Bedingung war, dass die DDR die Devisen bekommt und ich alles im Kurs 1:1 in DDR-Währung ausgezahlt bekomme. Mein Pakt mit diesen Kleinbürgern, und das muss ich voller Verachtung sagen, war, dass sie mich im Gegenzug für Lesereisen rauslassen. Sie haben mit mir sehr viel Geld verdient.“

Auf die Frage „Keine gemischten Gefühle, als es dann zu Ende war?“ „Nein, ich hab mich halb tot gefreut, als dieses ganze Lügengespinst verschwunden ist, das auch so viele anständige Leute eingebunden hat, so viele kluge Menschen, die gebrochen und erpresst wurden. Aber natürlich fehlen mir vierzig Jahre meines Lebens.“

Auf die Frage, wer gemeint gewesen sei, als Helga Schubert über die westdeutsche Begeisterung für eine realistische Schriftstellerin aus der DDR gesprochen habe: „Selbstverständlich Christa Wolf. Mit der habe ich mich jahrzehntelang auseinandergesetzt. Am Anfang hat sie mich gefördert und bestärkt, wir sind hier zusammnen aufs Land gezogen. Wenn ich krank war, hat sie mich besucht, hat mir Bücher von Silvia Plath und Natalia Ginzburg mitgebracht. Sie hatte ja eine Postkontrollnummer, mit der sie ohne Zensur alles einführen durfte, ein erhebliches Privileg, das muss ich Ihnen nicht sagen. Trotzdem hatte sie ein ambivalentes Verhältnis zu mir. Von mir hat sie gesagt, ich könne mit meiner Begabung die Tradition von Büchner und Kleist fortführen. Später hat sie öffentlich vor mir gewarnt, weil ich eine Politik unterstütze, die zur deutschen Einheit führt.“