4117: Hans Magnus Enzensberger ist tot.

Mit 93 Jahren ist in München Hans Magnus Enzensberger gestorben. Er gehörte zu den wenigen Groß-Intellektuellen in Deutschland. Wie Günter Grass, Martin Walser, Ingeborg Bachmann, Heirich Böll oder Paul Celan. Ihr Thema war die Nazi-Vergangenheit. Als Enzensberger schon 1963 den Büchnerpreis bekam, dekonstruierte er die Annahme, dass Schriftsteller das Gewissen der Nation seien. Die Nation war Enzensberger ohnehin suspekt. Aus guten Gründen. Es ist kein Zufall, dass sein Einfluss nach 1990 stark abnahm. Lange Zeit galt Hans Magnus Enzensberger als „links“, er hat sich aber nirgends vereinnahmen lassen, gab eher den kritischen Beobachter vom Rande. Nicht selten auch überheblich. Enzensberger war Gedichteschreiber, Essayist und oft mittendrin im Getümmel, ohne stets den Überblick zu haben.

Im Kursbuch 20/1970 lieferte er uns, gestützt auf Walter Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1936), seinen „Baukasten zu einer Theorie der Medien“. Brauchbar bis auf den heutigen Tag.

„Die Nation, die Enzensberger so suspekt war, braucht offenbar keine hauptberuflichen Gewissensträger mehr, schon gar nicht Literaten. Für den Alltag gibt es Markus Lanz, für den Notfall den Deutschen Ethikrat, ein Gremium, das sich , wie es selbst sagt, ‚mit den großen Fragen des Lebens beschäftigt‘. Hätte man Hans Magnus Enzensberger gefragt, ob er sich ‚mit den großen Fragen des Lebens beschäftigt‘, hätte er gegrinst und irgendetwas Garstiges gesagt.“ (Kurt Kister, SZ 26./27.11.22).