4056: Kollaboration zwischen Rechtspopulisten und Christdemokraten

In einem Interview mit Johan Schloemann (SZ 5.10.22) erläutert der Populismus-Forscher Jan-Werner Müller, 52, (Princeton) seine Vorstellungen vom Rechtspopulismus:

SZ: Welche Rolle spielen die „klassischen“ konservativen Parteien, wenn Rechtspopulisten an die Macht kommen? In Schweden und Italien helfen sie dabei mit, in Deutschland hält noch die sogenannte Brandmauer der CDU/CSU gegenüber der AfD.

Müller: Zunächst eine Bemerkung zu Silvio Berlusconi. Dass seine Forza Italia jetzt oft als gemäßigtere christdemokratische Partei dargestellt wird, zeigt schon, wie sehr sich die Maßstäbe verschieben können. Schließlich hat Berlusconi schon in den neunziger Jahren eindeutig rechtspopulistisch agiert. Und damit ist schon das Grundproblem berührt: die Gefahr einer schleichenden Anpassung von Mitte-Rechts-Pareteien an die äußerste Rechte.

SZ: Ist die etwa gefährlicher als der Aufstieg der Rechtspopulisten selbst?

Müller: Ja. Diese kommen nicht zwangsläufig, wie es das Bild von der Welle suggeriert, an die Macht; es braucht – ich verwende das Wort bewusst – einen Willen zur Kollaboration seitens des sogenannten Mainstreams. …

SZ: Welche Folgen hat das für die konservativen Parteien selbst?

Müller: Wenn man gewisse menschenverachtende Diskurse erst einmal legitimiert hat, kann man nicht einfach wieder zurück: Ist der Damm gebrochen, bleibt er offen. Zudem ist dieser Weg meist auch strategisch-instrumentell unklug, weil die Anbiederung selten Wähler zurückholt. Die Anpassung wird leider auch dadurch befördert, dass konservative und

vor allem christdemokratische Parteien nicht mehr wissen, wofür sie eigentlich stehen.

Jahrelang hat man von der Krise der Sozialdemokratie gesprochen, obwohl sozialdemokratische Ideale immer noch vergleichsweise klar sind. Aber die Essenz der Christdemokratie im 21. Jahrhundert ist immer schwerer zu definieren. …