3246: Felix Stephan bedauert den Rückgang der Literaturkritik.

Der WDR hat massive Streichungen in seinem Literaturprogramm angekündigt. Vier Literatursendungen stehen vor einer ungewissen Zukunft. Felix Stephan beklagt das (SZ 26.1.21):

„Das wäre tragisch genug: dass der WDR seine Rolle als ‚Business Angel für Intellektuelle‘, wie Frank Schirrmacher die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland beschrieben hat, leichtfertig und ohne jede öffentliche Diskussion aufgibt. Dass er mit den Rezensionen auch eine weiterführende Schule für republikanisches Dasein beseitigt, die Kunstkritik natürlich immer auch ist, eine Probebühne für Formanalyse und Begriffskritik.“

„Die Zeitschriften und Blogs der ganz rechten Infosphäre bauen ihre Literaturkritik kontinuierlich aus, und sie unterbreiten den freien Kritikern, die von den öffentlich-rechtlichen Medien stempeln geschickt werden, Angebote. Die antiglobalistische, völkische, deutschblütige Rechte hat genau verstanden, dass ein Land morgen von jenen geführt wird, die heute den Kanon formulieren.“

„Auf Youtube wimmelt es von völkischen Diskussionsrunden, die über die Verbindungen zwischen Hannah Arendt und Renaud Camus (dem Erfinder der Umvolkungs-These, eine Frechheit, W.S.) philosophieren; der Sloterdijk-Schüler Marc Jongen ist nicht nur AfD-Abgeordneter, sondern auch Obmann des Ausschusses für Kultur und Medien im Bundestag; in Radebeul ist der völkische Dichter Jörg Bernig als Kulturamtsleiter im vergangenen Jahr nur mit Ach und Krach verhindert worden. Die Rechten drängen in den kulturellen Raum, wo immer sie können, auf nationaler, regionaler, kommunaler Ebene, in den sozialen Netzwerken in Wort und Schrift, um ihre Sprache und ihre Begriffe zu platzieren.“

„Es wird bald das preiswerte Argument zu hören sein, die Sparmaßnahmen seien der ostdeutschen CDU zu verdanken, die eben erst die Erhöhung des Rundfunklbeitrags blockiert hat und zwar ausdrücklich, weil ihr die Berichterstattung nicht gefiel. Aber erstens gibt es kein Gesetz, das dem WDR vorschreibt, ausgerechnet da zu sparen, wo sich Deutschlands geistiges und ideelles Schicksal mit entscheidet – in der Literaturkritik. Und zweitens fehlte das Geld auch vorher schon an allen Ecken und Kanten.“

„Mehr als eine halbe Milliarde Euro zahlt der öffentlich-rechtliche Rundfunk allein für Renten, während junge Kritiker beim Radio heute kaum mehr ernsthafte Honorare erhalten.“