1160: „Über Ingeborg Bachmann wird noch viel geschrieben werden.“

Ingeborg Bachmann (1926-1973) war Zeit ihres Lebens eine von Männern umschwärmte Dichterin und Frau. Helmut Böttiger nennt sie sogar „die Sphinx der neueren Literaturgeschichte“ (SZ 15.2.16). Die „Dunkelheiten des Bachmann’schen Privatlebens“ rufen heute noch immer wieder Neugier und Klatsch hervor. In den Fünfzigern war sie die „junge lyrische Göttin“, nachdem sie 1953 den Preis der Gruppe 47 erhalten hatte. In den Sechzigern in Rom wurde sie zur „geheimnisvoll sich verschließenden Dichterin“, heute ist sie eine berühmte „feministische Ikone“. Im feministischen Diskurs erscheint Ingeborg Bachmann häufig als Opfer ihrer Männer. So z.B. von

Paul Celan (1920-1970)

und

Max Frisch (1911-1991).

Manches Aufschlussreiche wissen wir aus Briefwechseln, wobei ausgerechnet der mit Max Frisch bisher nicht publiziert ist. Eine gute Quelle ist aber

Herzzeit. Ingeborg Bachmann – Paul Celan. Der Briefwechsel. Mit Briefwechseln zwischen Paul Celan und Max Frisch sowie zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2008, 399 S.

In dieser Situation erscheint nun das Buch des US-amerikanischen Germanisten Joseph McVeigh

Ingeborg Bachmanns Wien 1946-1953. Berlin (Insel) 2016, 313 S., 24,95 Euro.

McVeigh ist sehr gut informiert, seine Hauptquelle sind Ingeborg Bachmanns Briefe an ihren Entdecker, Förderer und Geliebten Hans Weigel (1908-1991). Weigel, der als Jude von 1938 bis 1945 in die Schweiz emigiert war, wurde nach 1945 in Wien zum entscheidenden Förderer junger Literatur und zum „Strippenzieher“. Unrühmlich finde ich z.B., dass ihm Anfang der Fünfziger ein Boykott der Stücke Brechts auf sämtlichen Wiener Bühnen gelungen war.

Bachmann hatte Weigel als junge Journalistin bei einem Interview kennengelernt. Sie schrieb ihm „enthusiastische Liebesbriefe“. Beispielsweise als Weigel für kurze Zeit in New York war, sie werde ihm nach seiner Rückkehr „gleich meine gefestigte Lebensanschauung ins Gesicht schleudern oder besser ins Gesicht küssen und gar nicht abwarten, ob Du willst oder nicht“.

Ingeborg Bachmann hatte „Nachlass-Angst“. In ihren Briefen spreche sie zu viel private Details an. „Irgendein so windiger, wichtigtuerischer Dissertant“ werde das später entdecken und darüber schreiben, sie sei „ein zweiundzwanzigjähriges, völlig amoralisches, minderwertiges Geschöpf, deren unerquickliche schamlose Affairen aus dem Briefwechsel Mai bis August 1948 hervorgehen“.

So etwas lesen viele von uns am liebsten.

Selbstverständlich ist meine Beschreibungsweise feministisch nicht korrekt; denn eine so große Dichterin wie Ingeborg Bachmann können wir natürlich nicht aus der Perspektive ihrer Liebhaber verstehen.

Aber als eine Perspektive unter mehreren kommt diese Sicht doch in Frage. Oder nicht?