236: Die Hochschulrektoren-Konferenz kritisiert den Bologna-Prozess/“Der Jugendwahn ist vorbei.“

Der Bologna-Prozess mit seinen Bachelor- und Master-Studiengängen war von Anfang an falsch. Er basierte auf der verfehlten Annahme, dass es besser sei, jüngere Absolventen zu produzieren, die gar nicht so viel gelernt hätten („überflüssiges Wissen“), sich dafür um so besser anpassten und funktionierten. Wer jemand mit akademischer Erfahrung weismachen wollte, dass in sechs Semestern „berufsqualifizierende Kenntnisse“ erworben sein würden, stieß sogleich auf fulminanten Widerspruch. Der Protest hielt sich allerdings in Grenzen, weil die Hochschulangehörigen ja in dem Bologna-System reüssieren wollten. Das können wir niemand verübeln. Nun kommt erstmals massive Kritik aus den Hochschulen selbst, von der Hochschulrektorenkonferenz und ihrem Präsidenten Horst Hippler (Institut für Technologie, Karlsruhe). Hippler wurde in der SZ (14./15.8.12) von Roland Preuss und Johann Osel interviewt.

SZ: Bologna folgte dem Leitbild, die Leute schneller durchs Studium und in den Beruf zu bringen, ähnlich wie Schüler nach zwölf statt nach 13 Jahren Abitur machen sollen. War dieser Ansatz falsch?

Hippler: Ja, das hat inzwischen auch die Wirtschaft erkannt. Die Unternehmen brauchen Persönlichkeiten, nicht nur Absolventen. Wir alle arbeiten immer länger, da ist es sinnvoll, am Anfang mehr Zeit zu investieren und eine solche Persönlichkeit auszubilden. Hierzu gehört auch, dass Studenten über den Tellerrand des Fachs hinausschauen können. Der Jugendwahn ist an dieser Stelle vorbei.

SZ: Zumindest können die Studenten durch Bologna einfacher ins Ausland gehen.

Hippler: Das kann man so nicht sagen. Diese Versprechen ist nicht wirklich erfüllt worden. Im Ausland müssen sie sich die Leistungen auch erst mal anerkennen lassen. Das ist oft nach wie vor schwierig.

SZ: Und was ist mit dem einheitlichen europäischen Punktesystem ECTS, der Währung zur gegenseitigen Anerkennung?

Hippler: Diese Punkte sind keine echte Währung, denn sie besagen nur, wie stark ein durchschnittlicher Student durch zum Beispiel ein Seminar zeitlich belastet wird. Die Punkte sagen aber nichts darüber aus, was jemand kann. Sie sind ein internes Maß dafür, Studenten nicht zu überfordern. Aber sie können das erreichte Niveau nicht vergleichen, weil dies von den Schwerpunkten der Hochschulen abhängt.

SZ: Das ist aber eine magere Bilanz: Müsste man da nicht einen Schnitt machen und sagen, dass Bologna gescheitert ist?

Hippler: Eine Umkehr würde nichts besser machen. Man sollte das jetzige Konzept optimieren. Vor allem brauchen wir wieder ein Studieren in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, abseits der starren Vorschriften der Regelstudienzeit. Leute, die neben ihrem Beruf studieren, die Kinder haben oder Angehörige pflegen, können das Studium in sechs Semestern nicht leisten. Wer länger studiert, ist nicht automatisch faul oder schlecht. In dem Kontext müssen wir auch der Verschulung Einhalt gebieten, etwa bei der Anwesenheitspflicht. Es gibt drei Sorten von Studenten: Ein Drittel lebt quasi auf dem Campus, ein weiteres geht an die Hochschule wie zu einem Job; und das letzte Drittel macht fast alles von zu Hause aus und arbeitet sehr unabhängig. Das muss möglich sein – solange am Ende die Leistungen stimmen.

W.S.: Ich bin sehr froh über die Kritik von Horst Hippler. Sie trifft im Kern zu. Er stellt sich damit auch gegen Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Bei ihr wackelt nicht nur die Doktorarbeit, bei ihr schwindet auch die Zustimmung ihres CDU-Landesverbands, vielleicht sind ihre Tage als Politikerin ohnehin gezählt.

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