245: Liao Yiwu (Friedenspreis-Träger des Deutschen Buchhandels) über Sinologie

Der Staat China ist gewiss nicht leicht zu beurteilen. Wegen seiner Größe. Und der vielen Menschen. Auf Grund seiner langen und reichen Geschichte. Wegen seiner Vielfalt, die sich bis zu den Muslimen im Westen erstreckt. Und doch haben sich seit der kommunistischen Machtübernahme 1949 viele Strukturen erhalten. Die Diktatur der kommunistischen Partei. Die großen sozialen Unterschiede. Das Fehlen der Menschenrechte. Die Millionen von rechtlosen Wanderarbeitern. Die Zensur. Der Turbokapitalismus seit Deng Hsiao Ping. Die nicht eingetretene „Liberalisierung“ seit den Olympischen Spielen von Peking 2008. Und vieles mehr.

Angela Merkel will bei ihrem Besuch um chinesische Hilfe bei der Lösung der Euro-Schulden-Krise bitten. Wegen der chinesischen Festgeldkonten. Gleichzeitig soll Merkel protestieren gegen die Gängelung und Drangsalierung der deutschen Korrespondenten in China. Sie werden von der Polizei und vom Geheimdienst abgeschöpft, ermahnt, bedroht und verhört. In einem Brief haben sie sich an die Bundeskanzlerin um Hilfe gewandt. Die Repression betrifft nicht nur die deutschen Journalisten. Melissa Chan von „Al Dschasira“ musste gerade das Land verlassen.

In dieser Lage interviewt die SZ (29.8.12) den chinesichen Friedenspreis-Träger des Deutschen Buchhandels, Liao Yiwu, einen hier noch ziemlich unbekannten Autor und Musiker, der seit 2011 in Deutschland lebt. Er hat die Gesprächsprotokolle „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ und seine Gefängniserinnerungen unter dem Titel „Für ein Lied und hundert Lieder“ veröffentlicht. Der Preisträger erinnert sich an seine schwierige Kindheit zu Zeiten von Maos „Großem Sprung nach vorne“. Der bedeutete vor allem Hunger und eine dadurch verlangsamte Entwicklung von Liao. 40 Millionen Menschen starben. Liaos „Lehrmeister“ waren der Hunger, die Obdachlosigkeit, die Schande und das Gefängnis.

Liao ist glücklich, in Deutschland leben zu dürfen. „Oh nein, ich bin glücklich, ein derartig bösartiges Land verlassen zu haben. Das chinesische Außenministerium hat Deutschland dafür kritisiert, einem Schwerverbrecher wie mir den Friedenspreis verliehen zu haben. Ich bin so froh, hier sein zu dürfen. sonst säße ich wieder im Gefängnis. So etwas wie ein Vaterland kenne ich ohnehin nicht, ich habe nur eine Heimatverbundenheit zu meiner Provinz Sichuan.“

Liao erinnert sich gut an das Massaker auf dem Tianamen-Platz 1989, wo hunderte von Demonstranten von Panzern niedergewalzt wurden. Egon Krenz (SED) sprach der chinesischen Obrigkeit seinerzeit seine Anerkennung aus. Danach wurden sehr viele Menschen angeklagt und teilweise zum Tode verurteilt. Deng Hsiao Ping hatte den Befehl zum Massaker gegeben. Er wird heute, und das erbost Liao, von vielen Sinologen auf der ganzen Welt verteidigt. Liao spricht über den Harvard-Sinologen Ezra Vogel. „Er schreibt, Deng habe sich auch am 4. Juni 1989 richtig verhalten. Er habe schweren Herzens den Schießbefehl geben müssen, sonst wäre sein Lebenswerk, die Modernisierung Chinas in Gefahr gewesen. Das ist skandalös. Ein Harvardprofessor verteidigt diesen Schlächter.“

Liao selbst, der Einladungen zu Lesungen hatte, etwa in Auckland (Neuseeland),  ist wieder ausgeladen worden. „Die Sinologen weltweit sind längst Teil der chinesischen Kulturpolitik.“ Zu den vielen neu gegründeten Konfuzius-Instituten sagt Liao: „Es ist unglaublich! Die Regierungsbeamten, die in diesen Instituten arbeiten, sind kulturelle Analphabeten, die Konfuzius‘ Namen in Geiselhaft genommen haben. … diese Institute, …, sind nichts als Propagandainstitute, die Lügen und Klischees verbreiten.“

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.