Arundhati Roy kämpft gegen den globalen „Mittelklasse-Totalitarismus“. Müssen wir uns nun wehren?

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy, die 1997 mit dem Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ hervorgetreten ist, kämpft politisch weiter gegen den Westen. Dabei nimmt sie eine wohl stark indisch geprägte Perspektive ein. Die Begriffe Demokratie, Faschismus und Sozialismus erscheinen ihr nicht mehr tragfähig zur Beschreibung der gegenwärtigen Weltlage (Interview mit Iris Radisch in der „Zeit“ vom 8.9.2011). „Wir wissen nicht mehr, was unsere Träume sind und was wir unter Glück verstehen.“

Roy kritisiert heftig die Militäreinsätze des Westens etwa im Irak und in Afghanistan. Für sie sind Demokratie und Marktwirtschaft zu einem „einzigen Raubtier“ verschmolzen, das nur um den Profit kreise. „Es wird ja behauptet, dass die westliche Welt die Kriege in Afghanistan und im Irak führt, um den westlichen Lebensstil zu verteidigen. Dieser Lebensstil, der dort mit Waffen verteidigt wird, ist es aber, der den Untergang des westlichen Imperiums herbeiführt.“ Der Westen ist demnach also dem Untergang geweiht.

Roy bestreitet nicht, dass es westliche Werte gibt, die es wert sind, verteidigt zu werden. Aber zu welchem Preis? Die Zukunft sieht sie in Kriegen der „Eliten“ gegen die „Armen“. Und hier ist sie so hinreichend unklar, dass ich nicht genau weiß, was gemeint ist. „In Europa, in Amerika, in China, in Indien gibt es eine Elite, die nur noch nach unten kämpft. Ihr geht es um Herrschaft, um Realpolitik, um Energie.“

Roy spricht von der „herrschenden Mittelklasse“ weltweit. Gehöre ich auch dazu, sind wir Mitteleuropäer damit auch gemeint? Ja. Nach Roy gibt es sogar einen „Mittelklasse-Totalitarismus“, eine eigenwillige politische Begriffsbildung. Er komme zum Ausdruck im indischen „Bolywoodfilm“, in dem es keine armen Menschen mehr gebe. Als Iris Radisch vorsichtig bemerkt, die westliche Lebensweise habe bei uns doch niemand aufgezwungen, sie sei freiwillig gewählt, entgegnet Roy: „Weil die Arbeit in China oder in Indien gemacht wird.“

Radisch nimmt an, dass es niemand gibt, der die Mittelklasse-Konsumgesellschaft noch ernsthaft in Frage stellt. Die Zeiten einer radikalen Gesellschafts- und Kulturkritik seien im Westen vorbei. Auch Roy sieht keine Alternativen für den Westen. „Wenn die Mittelklasse in Frage gestellt wird, dann nicht mehr durch sich selbst, sondern durch die Leute im Urwald, draußen in den Dörfern, denen alles abgenommen wird.“ Ihr Rezept: Konsumverzicht! „Was jeder braucht, ist sauberes Wasser und ein Minimum an Gesundheitsfürsorge, Zugang zu Medikamenten. Was Indien so faszinierend macht, ist, dass es hier sehr viele Menschen gibt, sogar in der Mittelklasse, die ein Leben führen wollen, ohne diese überflüssigen Dinge.“

Für Roy ist das entscheidende Kriterium die Fähigkeit zu sagen: „Es reicht. Ich habe genug. Ich brauche nicht mehr. Es ist die Idee von elementarem Glück, wie ich es bei den Eingeborenen im Dschungel kennengelernt habe.“ Sie denkt an ihre eigene Kindheit in Kerala zurück. Sie habe gegessen, „was da wuchs. Es war wunderbares Essen. Es war Glück in diesem Essen, das nicht um die Welt geflogen war, um auf meinem Teller zu landen. … Aber es war kein primitives Leben. Wir hatten Bücher.“

Auf Bücher möchte ich natürlich nicht verzichten. Aber auch nicht auf ein Leben in der Stadt. Mit den Errungenschaften der Zivilisation. Auf den edlen Wilden verzichte ich. Zumal er weithin nicht-wissend ist. Sein Kampf um eine Mahlzeit am Tag ist zu unterstützen, aber nicht seine primitive Lebensweise. Ich rechne damit, dass die Leute im Urwald ein besseres Leben führen möchten. Irgendwann. Dann beginnt der Kampf um die Ressourcen, der im Grunde heute schon stattfindet.  Davon ist auch unsere westliche Lebensweise betroffen. Vielleicht sollten wir doch ein bisschen Kapitalismus behalten. Für unsere Lebensqualität und unseren Lebendstandard. Wenn dann sehr viel später das „einfache Leben“ kommt, sind wir dem schon nicht mehr ausgesetzt.

One Response to “Arundhati Roy kämpft gegen den globalen „Mittelklasse-Totalitarismus“. Müssen wir uns nun wehren?”

  1. Gietinger sagt:

    Lieber Wilfried,

    da kannst du dich mit Sahra Wagenblech zusammentun, die will auch Marktwirtschaft. Sozialistische Marktwirtschaft. Das kannst du ihrem neuesten Buch entnehmen. Wieso die als Kommunistin verschrien ist, habe ich noch nie verstanden. Stalinismus und Marktwirtschaft, wie in China passen ja bestens zusammen (so wie Fordismus und Faschismus). Ist vielleicht die ideale Lösung für den besten Kapitalismus aller Zeiten. 1 Millarde Hungernde, 5 Milliarden Prekäre und 2 Milliarden Fettleibige. Dass nebenbei die von Lassalle, W. Liebknecht und Bebel gegründete Geißel der Menscheit immer mehr an Wähler verliert (da helfen auch schwule Bürgermeister nicht) und Sarrazine hinzugewinnt, ist nur ein Nebeneffekt.
    Schöne Grüße
    Klaus

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.