Es ist wieder einmal an der Zeit zu prüfen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Politik der israelischen Regierung (und damit der Bevölkerungsmehrheit der Israelis) und dem angeblichen „Antisemitismus“ innerhalb der Partei „Die Linke“ gibt. Dieses Thema verfolgt die „Süddeutsche Zeitung“ konsequent. Und sie hat kompetente Gast-Kommentatoren eingeladen. Am 8.6.2011 schreibt der Schriftsteller Avraham Burg, ehemals Offizier und Abgeordneter der Arbeitspartei, darüber, wie Israels Ministerpräsident Netanjahu kürzlich in den USA gefeiert worden ist. Das hat Burg entsetzt, der aus einer aus Deutschland kommenden Familie stammt. Netanjahu verbreite Selbstgefälligkeit und Selbstgewissheit. An Frieden sei er anscheinend nicht wirklich interessiert. Zwar habe er etwa 50 mal von „Frieden“ gesprochen, aber nur um sein „Nein“ dazu zwischen den Zeilen zu verbergen.
„Nein zu den Grenzen von 1967 als Basis für Verhandlungen; nein zu Jerusalem als künftiger Hauptstadt beider Staaten, des jüdischen und des palästinensischen.“ Netanjahu wolle die Kontrolle über die besetzten Gebiete behalten. Aber damit sei der Frieden nicht zu erreichen. Die USA seien politisch naiv und blind für die beleidigenden Gesten Netanjahus. Der Kongress habe gejubelt, als der israelische Ministerpräsident Jerusalem für ewig unteilbar erklärt habe. Die USA würden so zu Komplizen bei der Unterdrückung des palästinensischen Volks.
Heute hätten die USA den Nahen Osten wahrscheinlich schon verloren. Obamas Kredit nach seiner Kairoer Rede vor zwei Jahren sei aufgebraucht. „Was sollen die Palästinenser über diese Supermacht denken, die angeblich als neutraler Vermittler in diesem Konflikt handelt?“ Dies sei der Moment, wo es auf Europa ankomme. „Es sollte eine Brücke bilden zwischen einem in sich selbst gefangenen, fernen Washington und den erwachenden Menschenmassen des Nahen Ostens.“ Israel habe die Chancen nach dem Sieg im Sechs-Tage-Krieg nicht genutzt. Vielmehr habe es Jerusalem ohne Verhandlungen annektiert, Siedlungen bauen lassen, eine Sperrmauer zu den Palästinensergebieten gezogen und Gaza freigegeben.
Trotzdem sei klar, dass – früher oder später – ein Palästinenserstaat kommen müsse. Um dies in passenden Schritten zu erreichen, müsse Israel seinen Starrsinn und sein Misstrauen aufgeben. „Seit langem haben wir die Gedanken vergessen, die wir selbst einst predigten.“ Deswegen könne der Frieden wohl nicht aus Israel kommen. Die neuen Volksbewegungen in der arabischen Welt gäben Anlass zu Hoffnungen. Ziviles Handeln und gewaltlose Proteste wiesen in die richtige Richtung. Es seien die Mittel, auf welche die jungen Palästinenser setzten. „Ja, es wird einen Palästinenserstaat geben. Und nur, wenn wir ihn sofort anerkennen, nur dann, wenn wir ihn mit offenen Armen in der Familie der Nationen willkommen heißen, werden wir einmal jenen Tag erleben, an dem zwei Staaten sich das schmale Land ziwschen dem Jordan und dem Mittelmeer in Frieden und guter Nachbarschaft teilen.“
Burg vertritt in Israel eine Minderheitenposition. Denn dort herrscht ein einseitiges und starres Sicherheitsdenken. Kein gutwilliger Beobachter spricht Israel sein Recht auf Sicherheit ab, aber zu verlangen ist, dass Israel tatsächlich versucht, über Verhandlungen zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu gelangen. Das hört man dort in Regierungskreisen nicht gerne.
In dieser Lage ist „Die Linke“ in einen „Antisemitismus“-Konflikt geraten. Insbesondere die aus der alten Bundesrepublik stammenden Linksextremisten bestehen anders als die Pragmatiker aus der DDR auf dem Recht, zum Boykott israelischer Waren aufzurufen und mit Israel-Hassern zusammenzuarbeiten. Ihnen gilt Israel als Vorposten des Westens, den sie bekämpfen. Dagegen arbeitet Gregor Gysi. Für ihn und seine Partei handelt es sich möglicherweise um eine Überlebensfrage. Er muss das selbstverständliche Bekenntnis zum Existenzrecht Israels erreichen.
Dazu hat sich der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, am 20.6. in der „Süddeutschen Zeitung“ zu Wort gemeldet. Zu Recht verweist er auf bemerkenswerte Einzeiheiten. Dass Angehörige der Linken-Franktion im Bundestag Simon Peres nicht angemessen begrüßen wollten, dass bei der Abfahrt der Schiffe nach Gaza skandiert wurde „Tod allen Juden“, dass Inge Höger sich mit einem Schal fotografieren lässt, der die Region um Israel ohne einen jüdischen Staat zeigt. Usw. Graumann verweist zu Recht auf den „Antizionismus“ der SED und der DDR. „Paradoxerweise sind es heute vor allem vertreter aus dem Westen, die ihren geradezu pathologischen , blindwütigen Israel-Hass ausleben.“ Diese Kräfte dürften nicht die Israel-Politik der „Linken“ bestimmen. Bezeichnenderweise schwiegen diese Kräfte meistens, wenn es um die Steinigung von Frauen, die Ermordung von Homosexuellen und die Folterung von Andersdenkenden gehe.
Graumann verlangt Verständis für die israelischen Sicherheitsinteressen, und er verweist überzeugend auf die „freie Presse“ in Israel und darauf, dass die Kritik an Netanjahu dort am schärfsten sei. Und er hat auch Recht damit zu betonen, dass es nicht genügt, sich auf „beispielhafte Demonstrationen“ gegen Rechtsextemisten in Deutschland zu beschränken. Eine Lösung kann er – verständlicherweise – auch nicht anbieten. „Es gibt sehr ehrenwerte Stimmen in der Partei. Es gibt Petra Pau, Katja Kipping oder Gregor Gysi; sie wollen die Linkspartei aus dem Kerker des Israel-Hasses befreien. Wir wünschen ihnen viel Erfolg bei ihren Bemühungen.“
Diese Differenzierungen von Dieter Graumann sind richtig. Seine Bemühungen sind zu begrüßen. Was damit aber noch keineswegs erreicht ist, ist die Besinnung in Israel, dass eine reines Sicherheitsdenken, das in veralteten Positionen verharrt, nicht zum Ziel führen kann. Die Volksbewegungen in der arabischen Welt sollten mit weniger Skepsis gesehen und ermutigt werden. Und Europa? Angesichts der uneinheitlichen Politik der NATO etwa gegenüber Libyen habe ich hier wenig Hoffnungen. Gerade hier haben die Bundesregierung und ihr Außenminister versagt. Speziell in Deutschland ist ein Denken weit verbreitet, dass bei unbeliebten Aktionen die USA, Großbritannien und Frankreich handeln lässt und seine Hände in Unschuld wäscht. Wir haben es hier mit der Scheu zu tun, Verantwortung zu übernehmen. An den zu erwartenden Erträgen, Gewinnen und Handelserfolgen wollen diese Kräfte aber dann doch beteiligt sein. Das ist in meinen Augen moralisch äußerst fragwürdig.
Der in Teilen der „Linken“ vorhandene „Antisemitismus“ hat hoffentlich wenige Anhänger. Ganz sicher bin ich mir da nicht. Diese Kreise verharren in den Irrtümern des Marxismus-Leninismus und suchen stets nach Vorwänden, Israel Schaden zuzufügen. Diese Politik ist in Deutschland seit Konrad Adenauer nicht mehr bestimmend gewesen. Das Existenzrecht Israels und unsere relativ guten Beziehungen zu Israel dürfen nicht auf’s Spiel gesetz werden. Das schließt nicht aus, dass wir die falsche Politik der Regierung Netanjahu kritisieren.