Zwei Juristen sind es, die sich in der FAZ vom 24. März 2011 über Fehler in juristischen Doktorarbeiten äußern. Beide Professoren für öffentliches Recht, Hans Michael Heinig (Georg-August-Universität Göttingen) und Christoph Möllers (Humboldt-Universität Berlin). Sie könnten Bescheid wissen.
Zunächst prüfen die Autoren, ob es sich im Fall Guttenberg um einen Einzelfall handle. Dies verneinen sie überwiegend. „Zunächst irritiert weniger die späte Aufdeckung des Betrugs als die Bewertung der Arbeit. Wie eine mäandernde Dissertationschrift ohne Fragestellung und ohne These mit der Höchstnote ausgezeichnet werden kann, bleibt ein Rätsel – oder besser: sollte eines bleiben.“ Es sprächen auch eine Reihe von Indizien gegen die Annahme, dass der Skandal zufällig in der Rechtswissenschaft passiert sei.
In der Rechtswissenschaft gäbe es im Vergleich mit anderen Geistes- und Sozialwissenschaften ein hohe Zahl von externen Doktoranden. Im Idealfall diene die berufsbegleitende Promotion zwar dem Kontakt zwischen Wissenschaft und Rechtspraxis, tatsächlich aber dienten sehr viele der vergebenen Titel vielmehr der Aussicht auf eine höhere Bezahlung oder dem gesellschaftlichen Reputationsgewinn. Das Instrument der externen Promotion erfordere infolgedessen eine besondere Sorgfalt bei der Auswahl, Betreuung und Korrektur von Dissertationen. „Wer, wie mancher Kollege, 30 oder mehr Doktoranden hat, kann dies nicht leisten.“
Es gäbe, so Heinig und Möllers, aber sogar die Gefahr der Selbstkorrumpierung der Rechtswissenschaft. Insbesondere im Verfassungsrecht, wo es nicht untypisch sei, die Nähe zur politischen Macht mit wissenschaftlicher Anerkennung zu verwechseln. Die Rechtswissenschaft solle aber Wissenschaft sein und keine Machttechnik. „Die Rechtswissenschaft zeichnet sich zudem durch einen eher laxen, zuweilen schlicht skandalösen Umgang mit wissenschaftlichen Sorgfaltsregeln aus.“ Wohl in keinem anderen Fach würden Doktoranden so systematisch zum Regelbruch verleitet wie in der Rechtswissenschaft.
Manche Lehrstühle seien „veritable Schreibwerkstätten“, in denen eine Horde von Mitarbeitern am Fließband Aufsätze, Kommentierungen und ganze Bücher für den Lehrstuhlinhaber produziere. Urheberrechtlich sei eine solche Aneignung mit Einwilligung der wahren Autoren erlaubt, große Mitarbeiterstäbe an Lehrstühlen ohne Projekteinbindung wirkten in der Rechtswissenschaft aber geradezu „kriminogen“. Besonders prekär seien solche Verhältnisse dann, wenn Fakultäten die Quantität der Publikationen für die interne Mittelverteilung heranzögen.
Ein Problem in der Rechtswissenschaft sei die Dominanz plagiatsgeneigter Publikationsformen wie Kurz-Lehrbüchern oder Kommentaren. Hier schlösse das Genre selbst Innovationen oder wissenschaftliche Eigenheiten aus. „Der gegen null gehende Ereknntniswert dieser Publikationen steht in einer eigentümlichen Korrelation zu ihrer Verbreitung.“
Heinig und Möllers betonen zun Recht, dass Dissertationen einen Beitrag zum Erkenntnisgewinn leisten sollen. Sie kritisieren den Mangel an Wissenschaft in der Ausbildung selbst. Dieser sei nicht zuletzt auf die Fallfixierung in den Prüfungen zurückzuführen. „Die Falllösung kennt freilich weder Originalität noch Innovation, sie kennt auch nicht den subjektiven Beitrag des Falllösers. Wer allein in ihr ausgebildet wird, bekommt kein Gefühl für die Bedeutung einer eigenen wissenschaftlichen Leistung. Er sucht in Fußnotengräbern nach herrschenden Meinungen.“
Mir kommt der Beitrag von Heinig und Möllers nicht nur treffend, sondern auch mutig vor. Die Autoren stehen mit der Publikation ihrer Thesen wohl noch allein. Ihr Aufsatz ist keine Nestbeschmutzung, sondern will aufklärerisch wirken.
Gibt es eigentlich noch andere wissenschaftliche Fächer mit ähnlichen Schwächen bei Promotionen?