Im Suhrkamp Verlag erscheinen sämtliche Feuilletons von Siegfried Kracauer:
Siegfried Krcauer: Essays, Feuilletons, Rezensionen 1906-1965. Hrsg. in vier Teilbänden von Inka Mülder-Bach (Kracauer Werke Bd. 5). Berlin 2011; 2982 S.
Damit wird ein großer Schatz gehoben. Denn der Redakteur der „Frankfurter Zeitung“ war wahrscheinlich einer der größten deutschen Feuilletonisten. Schon sehr früh hat er uns erklärt,
warum die „kleinen Ladenmädchen ins Kino gehen“ und
dass in Fritz Langs Filmen die „Ornamente der Masse“ zu sehen sind, die uns später in Leni Riefenstahls Filmen wieder begegnen. Auf ihn wollten viele nicht hören.
Kracauer musste ins Exil nach Italien, dann in die USA, und ist dabei nie glücklich geworden. Seine sehnlich erwartete „Theorie des Films“ erschien 1963 auf deutsch und sollte eine „Errettung der physischen Realität“ belegen. Davon waren wir seinerzeit enttäuscht. Kracauer war der falschen These von der Entideologisierung der Kultur aufgesessen, die nur die Ideologie von der Entideologierung beinhaltet. Heute glauben wir eher an die Konstruktionsleistungen des Films. Aber die Kritik an Kracauer, er habe den Nationalsozialismus erst nachträglich entlarvt und 1946 dann alles besser gewusst, ist im Kern falsch. In Kracauers Filmkritiken der zwanziger Jahre ist eine Gesellschaftskritik enthalten, die seinerzeit weithin verkannt wurde.
Was Siegfried Kracauer uns 1946 mit
„From Caligari to Hitler“ geliefert hat, ist die Möglichkeit zu einer besseren Einsicht. Dafür ist es nie zu spät. Und selbstverständlich war auch Kracauer selbst 1946 weiter als 1933. Eine treffende Übersetzung von Kracauers in Amsterdam erschienen Buch haben wir erst seit 1978 (von Karsten Witte). Die erste deutsche Übersetzung erschien 1958 bei Rowohlt mit bezeichnenden Auslassungen und unter dem falschen Titel „Von Caligari bis Hitler“ (sic!).