Es ist meist ein wenig ungerecht, wenn große Künstler anlässlich von Jubiläen neu bewertet und eingeordnet werden. Denn dann kommen Dekonstruktionen ans Tageslicht, die sich manchmal gerade auf die dunklen Punkte im Leben der Künstler konzentrieren. Das ist andererseits verständlich, weil darin weithin die Interessen des Publikums berücksichtigt werden. Die Auflage steigt, und der Diskurs geht los. Wahrscheinlich ist an einigen Stellen auch Neid dabei, der den Literaturbetrieb stets befeuert und den Literaturklatsch befördert.
So ist es in diesem Jahr auch Erwin Strittmatter gegangen, dessen Geburtstag sich zum hundertsten Mal jährt und der häufig mit dem Schauspieler Erwin Geschonnek verwechselt worden ist.
Annette Leo: Erwin Strittmatter. Die Biographie. Berlin (Aufbau) 2012, 448 S., 24,99 Euro.
Außerdem ist ein Teil von Erwin Strittmatters Tagebüchern erschienen:
Erwin Strittmatter: Nachrichten aus meinem Leben: Aus den Tagebüchern 1954-1973. Berlin (Aufbau) 2012, 601 S., 24,99 Euro. Die Herausgeberin ist Almut Giesecke
Wir kennen den Dichter als einen Chronisten der DDR, der unbeirrt von allen Parteilinien seiner Bestimmung gefolgt ist und das ländliche Leben authentisch schildert. Schon sein 1955 publizierter Roman „Tinko“ bekam den Nationalpreis der DDR. Viel gelesen wurden „Der Wundertäter“ (mit einer Abrechnung mit dem Stalinismus) und „Ole Bienkopp“. Und nach der Vereinigung Deutschlands haben viele von uns, wenn sie nicht „Der Laden“ gelesen haben, doch den danach gedrehten Fernsehfilm gesehen. Bekannt war seit langem, dass Erwin Strittmatter von 1956 bis 1959 in einer Hochzeit des kalten Kriegs erster Sekretär des Schriftstellerverbands der DDR gewesen war. Ganz fern konnte er der SED also nicht gewesen sein. Auch die frühe Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht am Berliner Ensemble kennen Literaturinteressierte. Für kurze Zeit war Strittmatter Informant der Stasi.
Nun hatte 2008 Werner Liersch in der FAS bekanntgemacht, dass Strittmatter nicht nur aus der Wehrmacht desertiert war, wie er es immer angegeben hatte, sondern dass er Wachtmeister im Polizeibattaillon 325 gewesen war, aus dem im Februar 1943 das 3. Bataillon des SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiments 18 wurde. Diese Einheit war in Griechenland, Slowenien und auf dem Balkan zur Partisanenbekämpfung eingesetzt und hat dabei Kriegsverbrechen begangen, indem etwa Massaker an Zivilisten begangen wurden. Es war das Verhängnis von Strittmatters Generation, in so etwas hineingezogen werden zu können. Das erinnert uns an Günter Grass.
Nun haben sich Anja Maier (taz 28./29.Juli 2012), Annett Gröschner (Literarische Welt 11. August 2012) und Jörg Magenau (SZ 14./15. August 2012) die neue Biographie Erwin Strittmatters und seine Tagebücher zur Rezension vorgenommen. Und dabei kommen neue unappetitliche Details ans Tageslicht. So, dass sich Strittmatter lange Zeit vergeblich bemüht hat, Mitglied der Waffen-SS zu werden. Dass er nach 1945 alle Verbindungen zu den Nazis geleugnet und sein Leben vertuscht hat. Wie so viele andere Zeitgenossen auch. An seine Eltern schrieb Strittmater aus Slowenien 1942: „Dann nahmen wir es (das Dorf) endlich und brannten es nieder.“ In der Ukraine wollte Strittmatter „sich ein ordentliches Stück Land mausen“.
Die Biographin Annette Leo konnte die Kriegsbriefe Strittmatters auswerten, weil seine Söhne sie ihr gegen den Willen der dritten Frau, Eva Strittmatter, ausgehändigt hatten. Dazu der Sohn Erwin Berner: „Sein Werk ist so groß, es wird das aushalten.“ Das ist die Frage. So schreibt Anja Maier über Erwin Strittmatters Verhältnis zu seiner 2010 gestorbenen Frau Eva, einer angesehenen Lyrikerin in der DDR: „Es ist schwer erträglich zu lesen, wie dieser Mann, der in seinen Büchern berührend über Liebesdinge schrieb, das Selbstbestimmungsrecht seiner eigenen Frau missachtete.“ Als 1957 Walter Janka, der Direktor des Aufbau-Verlags, in einem Schauprozess zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, schrieb Strittmatter dazu: „Die Strafvollstreckung in solchen Fällen sollte anders geschehen. Etwa wie jetzt in China. Zurück zur Handarbeit mit dem Lohn einfacher Handarbeiter auf Staatsfarmen.“
Strittmatters Herkunft aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, eine Bäckerlehre, Jahre als Hilfsarbeiter und Tierzüchter prädestinierten ihn zum prototypischen Arbeiter- und Bauernschriftsteller. „Strittmatter war Realist genug, um Funktionäre als Holzköpfe zu zeigen und die veheerenden Auswirkungen planwirtschaftlicher Vorgaben auf dem Land nicht zu verschweigen. Den Bau der Berliner Mauer akzeptierte er dagegen, ja, befürwortete ihn als Notwendigkeit.“ Nicht leicht zu ertragen ist der autoritäre Erwin Strittmatter, „der nach Ausbrüchen des Jähzorns, vor allem gegenüber den Kindern, immer wieder in Selbstmitleid verfällt, bis hin zu Selbstmordgedanken“.
Anja Maier schreibt dazu: „Man muss gar nicht so viel über Strittmatter wissen, um zu begreifen: Dieses Vertuschen, die Angst vor Entdeckung muss ihn, den Moralisten, nach dem Krieg endlos viel Kraft gekostet haben. Und es mag ihm dies eigenbrötlerische Leben aufgezwungen haben, das er geführt hat: schreibend auf einem Hof in den Wäldern Brandenburgs, sich immer wieder dem Zugriff des Staates, des Literaturbetriebs entziehend.“
Strittmatters Enkelin Judka Strittmatter hat sich kürzlich in dem ebenfalls bei Aufbau erschienenen Roman „Die Schwestern“ nachträglich mit den Mitteln der Schriftstellerin gegen die Missachtung durch ihren Großvater gewehrt. Damit hat sich schon am 27. Mai 2012 Volker Weidermann in der FAS befasst. In den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt er aber einen Bief Erwin Strittmatters aus dem Jahr 1958 an einen alten Freund, den ebenfalls 1912 in Spremberg geborenen Schriftsteller Peter Jokostra. Dieser hatte es gewagt, Strittmatter ein Gedicht zu widmen. Daraufhin schrieb der, erstens seien Jokostras Gedichte unverständlich, zweitens Dekadenzliteratur, der Dichter selbst anmaßend und dumm. Und dann wurde der erste Sekretär des Schriftstellerverbands der DDR deutlich: „Man wird dieses Büchlein in Grund und Boden kritisieren und das meiner Meinung nach mit Recht. Das aber wird zur Folge haben: Man wird Dir Lektorate, die Du fertigtest, nicht mehr anvertrauen. Eines wird sich aus dem anderen ergeben, und das finde ich schade für Dich und Deine rein materielle Existenz.“
Volker Weidermann sieht in diesem Brief Strittmatters „ein Meisterwerk politisch-poetischer Perfidie, das eiskalte Dokument eines Funktionärs, der sich in der Sekunde von einem alten Freund trennt, in der er für ihn gefährlich zu werden droht“.