Martin Walser, einer der angesehensten deutschen Schriftsteller, scheut sich nicht, in der SZ eine dort publizierte Literaturkritik vom 16. August seinerseits zu kritisieren (SZ 27./28.8.2011). Das ist zu loben; denn dadurch erfahren wir etwas über das Verhältnis von Schriftstellern und Kritikern. Und insbesondere über die Perspektive Martin Walsers. Er dient uns damit, dass er die öffentliche Auseinandersetzung sucht. Er kritisiert die Rezension von Wolfgang Herles‘ Roman „Die Dirigentin“ durch Michael Stallknecht.
Es heißt dort:
„Schwitzender Stil.
Der Schriftsteller Martin Walser über eine Roman-Rezension.
Wenn ein Kritiker in einem Buch oder an einem Autor gar nichts gut findet, wenn er ein Buch oder einen Autor richtig mies findet, so mies, dass er ins fast gewöhnliche Beschimpfen geräöt, wenn er also dabei landet, gar nicht mehr das Buch, sondern den Autor mies zu machen, dann möchte ich wissen, warum. Da muss es ein Motiv geben, dass diese Niedermache produziert und steuert. Über ein schlechtes Buch und seinen Autor kann man sich auch sachlich äußern. Schimpfen passt besser an den berüchtigten Stammtisch. Oder will der Kritiker berühmt werden, je kleiner du den Autor machst, um so größer bist du? Dann ist er allerdings auf dem richtigen Weg, wenn er drauflosdrischt, bis sein Stil ins Schwitzen gerät?
‚Ein wandelnder Minderwertigkeitskomplex‘ sei der Held dieses Romans. Das nenne ich schwitzenden Stil. Abgesehen davon, dass das von vielen Helden der Weltliteratur, von Dostojewskis Kanzleisekretär bis zu Gregor Samsa, gesagt werden kann. ich meine also Michael Stallknechts Verriss des Romans ‚Die Dirigentin‘ von Wolfgang Herles (‚Adabeis Leiden‘, 16. August). Anstatt aus der Inhaltsangabe eine Polemik zu machen, hätte er die Liebesbriefe der Dirigentin an ihre Freundin wenigstens erwähnen müssen! Die finde ich sehr, sehr lesenswert und lobenswert. Ich gebe zu, ich habe das Buch mit hellem Vergnügen gelesen. das zuzugeben, kommt mir nach der Stallknecht-Attacke schon mutig vor. Er will uns nämlich einschüchtern. Zum Glück passiert ihm am Ende ein Satz, der sozusagen alles wieder gutmacht. Da heißt es: ‚Nein, Herr Herles …, stellen Sie sich so was mal vor, wir haben das alles über Sie überhaupt nicht wissen wollen .“
Einmal abgesehen davon, dass es grtotesk ist, so zu tun, als habe der Autor, der einen Roman (!) schreibt, uns über sich unterrichten wollen, abgesehen davon, aber wenn der Kritiker geschrieben hätte ‚…ich habe das alles über Sie nicht wissen wollen‘, hätte ich ihm gern geglaubt. Das mich eingemeindende WIR ist, ja was ist es denn? WIR glauben, der Kritiker ist dabei, sich zu überschätzen.
Ich gestatte mir, das Motiv, das uns der Kritiker verbirgt, als Vermutung nachzuliefern: Wolfgang Herles IST Fernsehen, und Fernsehen ist großes U, Stallknecht ist feinstes E. Ist ja nur eine Vermutung.
Martin Walser, Nußdorf“
Hier finde ich sehr viel Interessantes über die persönlichen Motive von Schriftstellern und Kritikern. Es wird selten ausgesprochen, obwohl es wahr sein dürfte. Martin Walser beweist Mut. Natürlich erinnern wir uns dabei an seinen Roman „Tod eines Kritikers“, in dem er Marcel Reich-Ranicki beinahe sterben ließ.