„Bild“ ist „Mainstream“ und verlangt häufig eine extreme Politik.

„Der Spiegel“ (Nr. 9/2011) greift „Bild“ frontal an. Das Blatt spiele die Rolle einer „rechtspopulistischen Partei“ a la Jörg Haider (so Michael Spreng, der ehemalige Chefredakteur von „Bild am Sonntag“ und Berater Edmund Stoibers). Im Fall des Plagiators Guttenberg habe sich die Zeitung zu dessen Leibgarde aufgeschwungen. Wir wissen, dass „Bild“ einen großen Teil seiner verkauften Auflage verloren hat und gegenwärtig noch über eine Reichweite von ca. 12 Millionen Lesern verfügt. Vieleicht ist die Macht des Blattes nur deswegen so groß, weil fast alle Politiker annehmen, dass sie so groß ist (das entspricht der Perspektive des Konstruktivismus). Bekannt ist auch, dass die „Bild“-Leserschaft nicht repräsentativ für die Bevölkerung ist, sondern gerade im Hinblick auf die Bildung in der Regel unter dem Durchschnitt liegt.

Im „Spiegel“ wird der durchschnittliche „Bild“-Leser so charakterisiert: eher konservativ, kann Europa nicht leiden, hat mit Ausländern wenig am Hut, fürchtet die Globalisierung und sieht eher Privatfernsehen als ARD und ZDF. Gewiss betreibt „Bild“ Sensationsberichterstattung, inszeniert Kampagnen und vermischt ständig Politisches mit Privatem. Es hat sich im Grunde seit Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1976) nicht viel geändert. Auch wechselt „Bild“ seine Meinung nach Belieben, wenn es der eigenen politischen Sendung dient. So schreibt Kolumnist Franz Josef Wagner zu Guttenberg: „Scheiß auf den Doktor.“ 2009 hatte er noch gemeint: „Wenn der Doktortitel heute verramscht wird, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn Nobelpreise andere kriegen.“ Eben!

Fast alle Herausforderungen, Defizite und Probleme des politischen Journalismus kommen dann im „Spiegel“-Interview Ullrich Fichtners mit dem „Bild“-Chef Kai Diekmann zur Sprache. Der intelligente Diekmann, der schon so viele Male die falsche Politik unterstützt und gemacht hat, erweist sich dabei als schlagfertig und gerissen. Ganz marketingorientiert sieht er den Standort der „Bild“ „zwischen allen Stühlen“. Und er kontert einige Male nicht ungeschickt. Etwa da, wo er sagt, dass die Grünen in den achtziger Jahren wohl seine Forderung nach Deutsch-Kursen für Ausländer als „rechtsradikal“ bezeichnet hätten, während sie heute selbst die Forderung stellten. Diekmann hält dem „Spiegel“ vor, selbst die Sarrazin-Debatte mit auf den Weg gebracht zu haben. „Das ist wie Haus anzuzünden und dann verwundert zu fragen: Warum brennt das hier lichterloh?“ Er nennt die „Spiegel“-Titelgeschichten über Robert Enke, Margot Käßmann und Michael Jackson, die Cover mit Berlusconis Sexpartys und Gaddafis üppigen Blondinen.

Für Diekman ist „Bild“ der Seismograf der deutschen Befindlichkeit. Er bekennt sich zum Boulevard. „Boulevard ist eine lebendige Straße. Und wir sind eine Zeitung für die Menschen auf der Straße und nicht nur für die Elite auf der Empore des guten Geschmacks.“ Auch die „Süddeutsche“ und die „FAZ“ berichteten heute über Bohlen und Kachelmann. Emotionalisierung und Personalisierung seien nun einmal erfolgsversprechend. Und dann nimmt er noch die „Meinungsführerschaft“ der „Bild“-Zeitung in Anspruch und die gesellschaftliche Mitte und ruft den Widerspruch Fichtners und des „Spiegels“ hervor. Aber hier hat Diekmann völlig recht. „Meinungsführer“ ist man entweder auf Grund der Reichweite oder auf Grund der journalistischen Qualität für Multiplikatoren. „Bild“ ist Meinungsführer. Seinerzeit stammten der Nationalsozialismus und der Antisemitismus aus der gesellschaftlichen Mitte. Soweit sie heute noch vorhanden sind, ist das immer noch so. Von dieser Mitte aus wird dann partiell eine extremistische Politik befürwortet.

Scharf wird der Chefredakteur im Fall des Schauspielers Ottfried Fischer, in dem „Bild“ wegen Nötigung verurteilt worden ist. „Ein Fehlurteil, und zwar ein krasses. Es wird … in den Instanzen keinen Bestand haben. Alles andere wäre eine sehr schlechte Nachricht für den Journalismus insgesamt.“ Und dann zieht Diekmann noch die linke Sentenz „Das Private ist politisch.“ heran und behauptet, nicht immer sei das Private nur privat. Dazu führt er Seehofers und Speers uneheliche Kinder und den Schauspieler an, der den Polizisten spiele, tatsächlich aber mit Koks in der Tasche festgenommen worden sei.

Die Widerreden und Gegenangriffe Kai Diekmanns geben zu denken. Er spricht durchaus auch allgemeine Defizite des politischen Journalismus in Deutschland an. Das ist natürlich keine Rechtfertigung für die falsche und populistische Redaktionspolitik der „Bild“. Auch in den Fällen Sarrazin und Guttenberg. Aber wir sind keine Opfer von „Bild“. Schon dann nicht, wenn wir sie gar nicht lesen. Die „Bild“-Zeitung ist nicht so mächtig, wie sie immer gerne erscheint. Auch sie kann Guttenberg nicht mehr helfen.

Kurt Biedenkopf, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre, ehemaliger CDU-Generalsekretär und langjähriger sächsischer Ministerpräsident hat sich „voll inhaltlich“ unserem Aufruf gegen Guttenberg angeschlossen. 

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