3911: Die Rechte ist gekränkt.

Der Historiker Florian Huber hat ein Buch mit dem Titel

„Rache der Verlierer“

geschrieben, in dem er die Gewalttaten der Rechten in der Weimarer Republik (Rosa Luxemburg, Matthias Erzberger, Walter Rathenau und viele andere) mit denen in der Gegenwart (NSU, Walter Lübcke et alii) vergleicht. Er erkennt große Ähnlichkeiten und Unterschiede. Seine Hauptthese leitet er daraus ab, dass sich die Rechten gekränkt fühlen, einst wie jetzt. Die Heimkehrer aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs fanden sich in der Weimarer Republik nicht zurecht und entwickelten Verschwörungstheorien. Ganz anders Walther Rathenau. Der hatte die Zeichen der Zeit 1918 erkannt, weinte dem Kaiser keine Träne nach und verhandelte dann pragmatisch mit den Siegermächten. Damals gab es große Terrororganisationen auf der Rechten („Organisation Consul“), die zu „Fememorden“ und zum Staatstsreich entschlossen waren.

Heute sind die rechtsterroristischen Gruppen (NSU, Gruppe Freital) viel kleiner. Sie finden auch keine Sympathisanten mehr in der Justiz wie damals. Gekränkt fühlen sich auch viele ehemalige DDR-Bürger, die ihre Lebensleistung als nicht anerkannt empfinden. Viele ihrer Kinder folgen ihnen. „Man muss sein Leben nicht gelebt haben, um sich darum betrogen zu fühlen. Wer als junger Mensch dem Untergang der Welt seiner Eltern beiwohnt, ist mehr als nur Zeuge.“

„Die Kränkung, die Menschen zum Hass auf das demokratische System bewegt, ist heute diffuser. Es geht zwar weiterhin um Angst um den Verlust von gesellschaftlichem Status – als Weißer, als Deutscher, als Mann. Aber anders als vor hundert Jahren haben die meisten heutigen Rechtsextremisten von vornherein nie eine glorreiche (militaristische) Zukunft vor Augen gehabt, die ihnen dann jemand abrupt streitig gemacht hätte.“

Auch in der Weimarer Republik gab es schon viele hellsichtige Zeitgenossen, deren Analyse richtig war und hätte helfen können. So etwa den Reichskanzler Joseph Wirth (Zentrum), der nach dem Mord an Walter Rathenau im Parlament den deutsch-nationalen Abgeordneten direkt ins Gesicht sagte: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts.“ (Ronen Steinke, SZ 18./19.6.22)