3838: Der „Kicker“ in der Nazi-Zeit

2020 wurde der „Kicker“ 100 Jahre alt, konnte sein Jubiläum aber wegen der Corona-Pandemie nicht begehen. Über die wichtigste deutsche Fußball-Zeitschrift liegt jetzt eine Studie vor:

Lorenz Pfeiffer/Henry Wahlig (Hrsg.): Einig. Furchtlos. Treu. Der ‚Kicker‘ im Nationalsozialismus – eine Aufarbeitung. Göttingen (Die Werkstatt) 2022, 432 S., 39,90 Euro.

Darin wird erneut deutlich, dass der Sport „nach 1945 große Probleme hatte, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen“. Es habe „kollektive Amnesie“ geherrscht. Der „Kicker“ war tief verstrickt in den Nationalsozialismus. Und das obwohl sein Gründer

Walther Bensemann

Jude war und ein „Aushängeschild einer weltoffenen liberalen Sportauffassung“. Er floh 1932 nach Montreux, wo er ein Jahr später starb.

Sein Nachfolger Hans-Jakob Müllenbach als „Hauptschriftleiter“ nach dem „Schriftleitergesetz“ trimmte das Blatt auf Nazi-Linie. Es erschienen Jubeltexte über SA-Aufmärsche. Bald wurde nicht mehr über den englischen Fußball berichtet. Hitlers Überfall auf Polen 1939 feierte die Zeitschrift unter dem Titel „Einig. Furchtlos. Treu“. Der Göttinger Publizist Bernd Beyer hatte die Aufklärung über den „Kicker“ 2003 mit einer Bensemann-Biografie begonnen. Er ist in der Studie vertreten. Für ihn ist es erstaunlich, „in welcher Geschwindigkeit das Erbe Bensemanns von einem strammen NS-Kurs und untertänigen Lobhudeleien aus der feder Müllenbachs abgelöst wurde“.

(Christof Ruf, SZ 27.4.22)