3648: Willi Sitte-Ausstellung in Halle

Der Maler Willi Sitte (1921-2013) wäre in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden. Aber er wird wohl nicht gefeiert, weil er im Ruf steht, ein „DDR-Staatskünstler“ gewesen zu sein. Tatsächlich war er mehrere Jahre Vorsitzender des Verbands bildender Künstler der DDR, Mitglied im ZK der SED, genoss die Privilegien der Nomenklatura (etwa Westreisen). Das Museum Moritzburg in Halle, wo Sitte 60 Jahre gelebt hat, widmet ihm nun ein Gesamtschau. Und das ist verdienstvoll. Weil es erstmals fast vollständig geschieht und auch politische Schlüsse zulässt.

Je mehr Dinge über Willi Sitte ans Licht kamen, um so ungünstiger für seinen Ruf. Es war z.B. gelogen, dass er sich 1944 in Italien den Partisanen angeschlossen hatte. Aber damit festigte er seinen Ruf im Arbeiter- und Bauern-Staat. Sitte war frühzeitig als sehr begabter Zeichner und Maler aufgefallen. Technisch früh fertig. Er verarbeitete Einflüsse der klassischen Moderne (etwa Picasso). Sitte musste sich zwischendurch Vorwürfe des „bürgerlichen Formalismus“ und der „westlichen Dekadenz“ gefallen lassen. Aber dafür konnte er nichts. Das war die Beschränktheit des realen Sozialismus. In den sechziger Jahren (mit dem Mauerbau 1961) erlebte er persönliche Krisen und den ersten großen Ruhm. Er wurde vielfach ausgezeichnet. Er verurteilte den Vietnamkrieg und rechtfertigte den Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in die CSSR 1968. Willi Sitte war u.a. ein Meister des Akts. Aber moralische Urteile des Gegenwart, das würde den weiblichen Körper an den männlichen Blick ausliefern, sind natürlich lächerlich. Was denn sonst?

„Man muss diesen Sitte nicht lieben. Doch die Ausstellung bietet Gelegenheit, sich mit dem Menschen und dem Künstler auseinanderzusetzen – und interessant ist Sitte aus zwei Gründen: wegen seiner exemplarischen Karriere im untergegangenen deutschen Staat, mit allem, was dazu gehörte, besonders dem Unerquicklichen; und wegen seiner überquellenden Produktivität, deren Resultat noch der Sichtung harrt. Wenige andere Künstler dürfte es geben, wo das völlig Misslungene derart krass neben den überraschendsten und beglückendsten Funden steht.“ (Burkhard Müller, SZ 10.11.21)