3539: Georg Stefan Troller wird 100.

Einer der Großen im deutschen Journalismus, der am 10. Dezember 1921 in Wien geborene Georg Stefan Troller, wird bald 100 Jahre alt. Wer sich je einmal auf seine Präsentationen eingelassen hatte, stand fortan in seinem Bann, auch dem seiner Stimme. Er bestimmte das „Pariser Journal“ beim WDR und „Personenbeschreibung“ beim ZDF in den sechziger und siebziger Jahren. Im Vorlauf zu seinem Geburtstag wurde Troller von seinem Freund, dem Schriftsteller Peter Stefan Jungk, der in Paris lebt, in seinem Landhaus in der Normandie interviewt (Literarische Welt, 14.8.21).

Jungk: Ich weiß, du bist kein Freund der Psychoanalyse. Was sagt dir deine Selbstanalyse?

Troller: Ich habe mein Leben lang versucht, ein neuer Mensch zu werden – Transformation, Wandlung – das war mein Um und Auf. Ich wollte nicht der kleine, verhasste typische Jude sein, den man auf der Straße anspucken konnte. Dazu gehört, dass ich nie mit jüdischen Frauen geschlafen habe, die ich als meine Schwestern empfand, oder als mich selbst.

Jungk: Dein Vater hatte etwas Despotisches an sich, scheint mir.

Troller: Man durfte vor ihm nie von Sexualität sprechen. Als er mich einmal mit einem Buch von Sigmund Freud erwischte, es war „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“, hat er mir das Buch aus der Hand gerissen: „Wir befassen uns nicht mit diesem Schmutzzeug.“ Dabei ging es doch bloß um jüdische Witze.

Jungk: Deine Stimme macht ja 50 Prozent der Wirkung aus!

Troller: Das wollte ich nie wahrhaben. Aber es war wirklich so, dass meine Texte, mein Kommentare, meine Interview-Fragen ihr eigenes Gewicht einbrachten. Ich hatte seinerzeit in der Schule bei „Faust“-Lesungen im Klassenzimmer das Gretchen zu lesen, weil meine Stimme so mädchenhaft klang. Und dann kam ich nach Amerika, arbeitete als erstes in einem Konfektionsladen, und da gab es viele schwarze Frauen. Eine von ihnen sagte zu mir: „Oh Mister – Ihre Stimme ist so schön! Sie sollten zum Radio gehen!“ Das war das erste Mal, dass ich so etwas zu hören bekam.

Jungk: Aber du hast diese Gefühle nie mit deiner jüdischen Herkunft verbunden?

Troller: Das Judentum hat mich immer etwas fremd gelassen. Das heißt nicht, dass ich mich zu einer anderen Religion bekehrt hätte, aber zu einer Art Pantheismus. Alles ist göttlich. Auch die menschliche Seele. Ich glaube allerdings nicht an Seelenwanderung, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir haben unsere Chance gehabt in dieser Welt. Das Göttliche mitgespürt zu haben, ist es schon wert, gelebt zu haben. Es war schön, wenn Mutter einem nachrief, als man mit den Männern zur Synagoge ging: „Bet‘ dir alles Gute aus!“ Das ist doch ergreifend.