3507: Rettet uns die Wissenschaft ?

Den stärksten Hang zu Vereinfachungen und Verschwörungstheorien haben in der Regel diejenigen, die sich auf dem Feld der Wissenschaft nicht allzu viel zutrauen. Sie fühlen sich zurückgesetzt. Und das sind sie in gewisser Hinsicht ja auch. Der Gipfelpunkt dieser Frustration wird an vielen Stammtischen deutlich in dem Satz: „So einfach ist das.“

Seit der Aufklärung ist die Geschichte der westlichen Zivilisation eine Geschichte der Entzauberung. Der alten Autoritäten wie Staat, Kirche, Familie usw. Schließlich aber auch der neuen wie Sport und Medien. Und letztlich auch der Wissenschaft. „Vollzogen hat sich diese Entwicklung in einer Art paradoxem Effekt. Je mehr sich in den Debatten die Vertreter von liberaler Vernunft und Vernünftigkeit auf die Wissenschaft beriefen, um so schwächer schien der Abwehrzauber (etwa gegen Vorurteile, W.S.) zu wirken.“ (Jens-Christian Rabe, SZ 19.7.21).

In der letzten Zeit hatten wir offen wissenschaftsfeindliche Regierungen in den USA, Polen und Ungarn mit „mittelgroßen Lügen“ (Timothy Snyder). Es muss ein Abwehrkampf gegen die Spinner der Welt geführt werden. Die Skepsis gegenüber der Wissenschaft produziert diese selbst. Man denke nur an die „am Fließband produzierten, mit ein paar Tricks zu statistischer Signifikanz aufgeblasenen Studien“. Es lassen sich auf diese Weise Ergebnisse gewinnen, die schlichter Bullshit sind. Der Hauptgrund dafür ist enorme Publikationsdruck in der Wissenschaft.

„Nicht gerade weniges, was zu einer Zeit als unumstößlich wahr gilt, kann später vollkommen anders beurteilt werden. Wer oder was etwa im medizinischen Sinne für ‚verrückt‘ gilt, ist im Laufe der Geschichte extrem unterschiedlich gewesen. Dieser Blick lehrt eine Demut, die im hitzigen unmittelbaren Kampf gegen Spinner eher kontraintuitiv ist.“ Experimentalwissenschaften sind gar nicht auf unzweifelhafte und im Zweifel leider triviale Gewissheiten aus, sondern vielmehr auf Neuheiten, die naturgemäß vage, unsicher und widersprüchlich sind. Die Frage also, ob die Wissenschaft als Anker unserer Ordnung taugt, können wir nur mit

ja und nein

beantworten.

„Wissenschaft allerdings auch als soziale Methode zu begreifen, um unter der Bedingung zunehmender weltanschaulicher Pluralität kontrolliert skeptisch die Erkundung der kleinsten gemeinsamen Wirklichkeit zu wagen, ist nötiger denn je. Vielleicht ist es sogar unsere letzte Hoffnung.“