3430: In der Literatur über die DDR fehlen die Mitläufer.

Felix Stephan macht in einem sehr gut durchdachten Beitrag (SZ 31.5.21) darauf aufmerksam, dass in der Literatur über die DDR die Mitläufer fehlen. Es kommen vor die überzeugten Täter (SED und nationale Front) und die Menschen im Widerstand, aber nicht die Mitläufer. Sie machen in jeder Gesellschaft den Löwenanteil aus, ohne sie geht gar nichts. Deswegen dürfen sie gerade in der Literatur nicht fehlen.

Nun gibt es ja viele Romane über die DDR, darunter sehr überzeugende. Felix Stephan nennt dafür die folgenden Autoren: Ines Geipel, Lutz Seiler, Alexander Osang, Helga Schubert, Eugen Ruge und Uwe Tellkamp. Das trifft zu. Was fehlt, sind Auseinandersetzungen über die persönliche Verantwortung. „Von den Einverstandenen und den Profiteuren, den Passiven und den Karrieristen ist in den DDR-Erzählungen der Nachwende kaum die Rede.“ Das betrifft breite Bevölkerungsschichten. Die Stasi (180.000 Mitarbeiter) hatte 1989 nur noch 2.500 Menschen als organisierte Widerständler registriert. Vorherrschend waren die Kollaborateure.

„Die allermeisten DDR-Bürger haben sich jahrzehntelang für die Anpassung entschieden, in der ostdeutschen Nachwendeliteratur jedoch tauchen sie kaum auf.“ In der Vereinigung haben sie „Erniedrigungen“ erfahren: Arbeitslosigkeit, Ausverkauf, Abwanderung. In der Literatur musste der Markt bedient werden, der vorwiegend aus westdeutschen Lesern bestand. Nach 1945 waren es gerade Karl Jaspers und Hannah Arendt gewesen, die sich mit der persönlichen Verantwortung der Mitläufer auseinandersetzten. Sie untersuchten die Formen der Verdrängung.

„Ist man unausgesprochen übereingekommen, dass die Verbrechen, die innerhalb des staatlichen Legitimationsrahmens der DDR begangen wurden – die Mordanschläge, die Zersetzung, die willkürlichen Verhaftungen – zwischen dem Holocaust, den Demütigungen durch die Treuhand und dem neu erwachten Interesse an der deutschen Kolonialgeschichte verblassen? Oder hat man es hier doch mit einer vorbewussten Auslassung zu tun, liegt hier nicht doch eine Wunde offen?“