3390: Eva Illouz erklärt uns Benjamin Netanjahus Propaganda.

Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem. 2011 war ihr Buch „Warum Liebe weh tut – eine soziologische Erklärung“ erschienen. Jetzt erklärt sie uns Bibi Netanjahus Propaganda (SZ 27.4.21).

1. „Israelische Nichtregierungsorganisationen, Akademiker, Künstler, Journalisten und auch viele andere, nichtorganisierte Bürger, die mit dem Entzug grundlegender Menschenrechte der Palästinenser durch die Regierung Netanjahu nicht einverstanden sind, werden als Verräter und Staatsfeinde bezeichnet.“

2. „Ein Kritiker der israelischen Regierung ist in der Logik dieser Regierung folglich: Antisemit.“

3. „Kein Anliegen ist gerechter als der Kampf gegen den Antisemitismus.“

4. „Der Kampf gegen den Antisemitismus sollte an der Spitze aller antirassistischen Kämpfe stehen, denn Antisemitismus ist eine der ältesten Formen des Gruppenhasses und eine der zerstörerischsten.“

5. Zwei Drittel der europäischen Juden wurden im Zweiten Weltkrieg ermordet.

6. Jetzt ist ein „neuer Antisemitismus“ zu Propagandazwecken erfunden worden.

7. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem bezeichnet die strikte Trennung der jüdischen und palästinensischen Bevölkerung in Israel als „Apartheid“.

8. Das könnte man auf Grund der genauen Analyse von Karten, Gesetzen und politischen Regimen überprüfen.

9. Stattdessen wird „Apartheid“ als antisemitisch gebrandmarkt.

10. Man verharmlost „die Opfer des Antisemitismus, wenn man eine gerade Linie von Kritikern israelischer Politik zu eingefleischten, gewalttätigen Antisemiten zieht“.

11. Viele Kritiker israelischer Regierungspolitik sind nicht antisemitisch, „sie rufen weder zur Vernichtung von Juden auf noch dazu, dass Juden bestimmte Länder oder Europa verlassen sollten“.

12. Man kann einigen dieser Kritiker vorwerfen, dass sie sich weigern, die israelischen Opfer terroristischer Anschläge zu sehen.

13. Man kann ihnen vorwerfen, die realen Gefahren zu ignorieren, welche die Existenz Israels bedrohen oder, dass sie Israel moralische Normen vorschreiben, die ihnen bei anderen Staaten offenbar weniger wichtig sind.

14. Aber wie fragwürdig solche Meinungen auch sein mögen, sie unterscheiden sich zutiefst vom Antisemitismus, der den Juden und Israel dämonischen Einfluss zuschreibt und sie vernichten will.

15. „Etliche sogenannte Kritiker Israels sind tatsächlich Antisemiten.“

16. „Was sollen jüdische Intellektuelle angesichts dieses Minenfeldes tun? Sie haben nur zwei gleichermaßen unerfreuliche Alternativen: entweder sie reihen sich bei denen ein, die für ein demokratischeres Israel kämpfen, und riskieren damit, als Antisemiten bezeichnet zu werden; oder sie machen den Kampf gegen den Antisemitismus zum primären moralischen Ziel und ignorieren dabei vollständig eine historische Ungerechtigkeit, die vom jüdischen Volk begangen wurde.“

17. Der Deutsche Bundestag hat eine Resolution verabschiedet, in der die BDS-Bewegung als antisemitisch definiert wird. „Man kann aber – wie ich – BDS ablehnen und dennoch deren Recht auf Meinungsäußerung verteidigen.“

18. „Mit dem rücksichtslos verwendeten Antisemitismus-Verdikt hat die israelische Rechte das Volk gespalten: denn sie stellt die politischen Interessen Israels über die Solidarität mit anderen und liberalen Juden.“

19. „Das hat erschreckende Auswirkungen. Viele Juden definieren sich bereits weniger über ihre Ethnie, dafür stärker über ihre politische Ausrichtung. Antisemitismus als politische Waffe wird die Spaltung innerhalb des jüdischen Volkes weiter vertiefen.“

20. Insofern verhindern Unterstützer der gegenwärtigen israelischen Regierungspolitik jede Debatte, da Antisemitismus unmoralisch ist.

21. „Unterstützer Israels werden damit automatisch zu Protofaschisten, also zu einer anderen bösen Wesensart.“

22. „Diese Debatte ist exemplarisch für die Schwierigkeiten, denen sich Intellektuelle zunehmend gegenübersehen. Es sind die moralischen Widersprüche komplexer Realitäten: In diesem Fall betreibt der Staat Israel eine inakzeptable Politik der Vorherrschaft in den besetzten Gebieten, während gleichzeitig der Antisemitismus überall auf dem Vormarsch ist.“

23. „Intellektuelle müssen daher tun, was sie am besten können: sich für die universalistische Position entscheiden und gleichermaßen gegen die Unterdrückung der Palästinenser wie den Antisemitismus kämpfen; darauf verzichten, andere Meinungen zur Blasphemie zu erklären; die Debattenklutur aufrechterhalten, anstatt auszugrenzen.“