3226: Die Angst vorm Impfen ist kulturell tief verwurzelt.

Peter Paul Rubens (1577-1640) malte (um 1630), wie Achilles von seiner Mutter Thetis in den Fluss Styx getaucht wird, ohne dass Wasser an seine Ferse gelangt. Sie blieb deshalb seine Achillesferse. Bei Honoré Daumier (1808-1879) zwickt dem entsetzten Kind sogar noch ein Flusskrebs in die Nase. Und bei Siegfrieds Bad im Drachenblut blieb in der Größe eines Lindenblatts Platz frei. Alles Bilder von Impfschäden. Es geht dabei weniger um Medizin als um Kultur. Können auf diese Art nicht Autismus, plötzlicher Kindstod, Krebs und Alzheimer in die Welt kommen? Ja, manchmal wird das Vokabular des Militärs bemüht, da wo „Abwehrkräfte gestärkt“ werden sollen. Hier werden Aversionen gegen das Impfen deutlich. Anglikanische Bischöfe sprachen von „Injektionen von Sünde“. Die gespritzten Stoffe waren „Hexengebräu“.

Der Begriff der „Herdenimmunität“ rührt daher, dass Edward Jenner (1749-1823) versuchsweise ahnungslose Bauernkinder mit Kuhblattern infizierte. Das Volk sozusagen wie eine Kuhherde auf dem Weg zur Schlachtbank. „Herdenimmunität“ impliziert auch „Herdenmentalität“. Und da sind wir schon bei den gegenwärtigen „Querdenkern“. Kurz vor Bram Stokers „Dracula“, 1880, wurde in England vor dem „Vaccination Vampire“ gewarnt. Karl Marx (1818-1883) hatte die vampirische Natur des Kapitals beschworen. Bei den Impfgegnern geht es heute um „antikapitalistische“ und „libertäre“ Impulse. Weniger um die Sache selbst.

Und wenn Susan Sontag (1933-2004) verlangt hatte, Krankheiten als Krankheiten zu behandeln und nicht als kulturelle Metaphern, so hat sie sich bis heute damit nicht durchgesetzt. Mehr denn je ist „Schulmedizin“ ein Schimpfwort. Und die „Ganzheitlichkeitspropheten“ sehen im Krebs nur einen „Boten“. Die „Homöopathie“ kommt ohne medizinische Evidenz aus, dafür sind ihre Thesen von hoher Poesie. Lange Zeit hat sich die Schulmedizin selbst in Bildern ausgedrückt und in Mythen verkörpert. Da brauchen wir uns über die aktuelle Impfgegnerschaft nicht zu wundern. Obwohl sie regelmäßig unbegründet ist und in vielen Fällen von tödlichem Ausgang begleitet wird (Peter Richter, SZ 12.1.21).