2989: Das Exilmuseum – eine Idee von Herta Müller

2009 erhielt die deutsche Schriftstellerin Herta Müller, geb. 1953 in Rumänien, den Literaturnobelpreis. Sie war 1987 ins deutsche Exil gegangen. Bekannte Werke von ihr sind: Der Fuchs war damals schon der Jäger (1992), Herztier (1994) und Atemschaukel (2009). Sie wohnt seit längerem in Berlin-Charlottenburg. Jetzt hat sie die Idee eines Exilmuseums am Anhalter Bahnhof entwickelt. Es soll privat finanziert werden und dürfte auf Spenden angewiesen sein. Herta Müller hält das Exil seit 1933 für völlig unterschätzt. Ihrer Ansicht nach hätten die Exilanten nach Deutschland zurückgerufen werden sollen.

Marc Reichwein hat sie für die „Literarische Welt“ (15.8.20) interviewt.

Literarische Welt: Sehen Sie noch Unterschiede zwischen Ost und West?

Müller: Man kann die Ex-DDR nur als Teil von Osteuropa verstehen. Ich weiß ja, wie Osteuropa aussah. Rumänien war, wegen des Clans um Ceaucescu und was die Armseligkeit und Verelendung angeht, sicher eines der finstersten Länder. Aber alle Osteuropäer einte dieselbe sozialistische Ideologie. Gerade für die Ostdeutschen, die im Gegensatz zu den Tschechen, den Polen oder den Ungarn keine sprachlich-kulturelle Einheit mit Alleinstellungsmerkmal bildeten, hat sich der Staat nur ideologisch definiert.

Literarische Welt: Kann Europa mit seinen unterschiedlichen  Mentalitäten jemals zusammenwachsen? Oder hat sich manche Spaltung nicht verfestigt?

Müller: Osteuropa hat sich immer noch nicht völlig demokratisiert. Die EU hat es auch nicht genügend verlangt, hat nur Aufnahmebedingungen definiert, aber kaum Regularien für Mitglieder, die die Wertegemeinschaft nicht mitleben. Siehe die Gleichschaltung der Medien in Ungarn. Oder die Justizreform in Polen. Orban wird mit Sicherheit auch Sanktionen gegen das Regime in Belarus blockieren. Und die EU hat keine Handhabe, keinen Hebel. …

Literarische Welt: Sind Sie ein politischer Mensch?

Müller: Ich stamme aus Rumänien, wo alle deutschsprachigen Bewohner noch nach dem Krieg als Nazis galten, obwohl mit Antonescu das ganze Land faschistisch war und die Juden aus der rumänischen Bukowina zur vollsten Zufriedenheit der Nazis vertrieben und vernichtet hatte. Mein eigener Vater war bei der SS, und ich habe mich immer gefragt: Was hätte er gemacht, wenn er die Eltern von Paul Celan hätte umbringen müssen. Natürlich hätte er den Befehl ausgeführt. Er war ja Soldat. Er wäre ja nicht desertiert, nur weil er jemanden erschießen musste. Ich habe keine Ahnung, wie viele Menschen er getötet hat. Ich konnte mit ihm nie darüber sprechen. … Politisiert war ich automatisch. In einer Diktatur gibt es nur zwei Möglichkeiten: Man kann sich arrangieren oder nicht. Und zu diesem Nicht gehört auch das Exil.