2921: Peter Suhrkamps deutscher Weg

Dem 70-jährigen Bestehen des Suhrkamp Verlags wird heute meistens im Sinne von Siegfried Unseld (1924-2002) gedacht. Dagegen ist wenig einzuwenden. Auch wenn mich dessen Jaguar stört. Viel wichtiger aber ist für den Verlag Peter Suhrkamp selbst, der einen einmaligen und zugleich typisch deutschen Weg beschritten hat von 1891 bis 1959. Suhrkamp ist relativ früh gestorben an den gesundheitlichen Schäden, die ihm in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen und im Gestapogefängnis in Berlin 1944/45 zugefügt worden sind.

Der in Kirchhatten geborene und durch die Jugendbewegung geprägte oldenburgische Bauernsohn hatte gegen den Willen seiner Eltern den Lehrerberuf ergriffen. Da werden dann gerne die Odenwaldschule, von der wir wissen, wie sie gescheitert ist, und die freie Schulgemeinde in Wickersdorf genannt. Aber viel wichtiger für Peter Suhrkamp war seine Lehrerzeit in „normalen“ Schulen. U.a. in Munderloh/Oldenburg, wo in den sechziger Jahren meine Schwägerin, Barbara Diepold,  ebenfalls Lehrerin war.

1932 war Peter Suhrkamp in den S. Fischer Verlag eingetreten, seit 1933 hatte er die Redaktion der Hauszeitschrift „Neue Rundschau“ übernommen. Er hatte dann gemeinsam mit dem Schwiegersohn des Verlagsgründers Samuel Fischer, Gottfried Bermann Fischer, die Verlagsleitung inne. Bis dieser 1936 ins Exil ging und seinen Exilverlag zuerst in Wien, dann in Stockholm und schließlich in den USA begründete. Peter Suhrkamp verstand seine alleinige Verlagsleitung seither als „Treuhänderschaft“. Die Nazis zwangen ihn 1942, den Namen „S. Fischer“ zu löschen. Damit ist Suhrkamp Zeit seines Lebens nicht fertig geworden.

Nach 1945 trafen dann Bermann Fischer und Suhrkamp aufeinander als Vertreter einmal der Exil-Autoren und andererseits als Verleger der in Deutschland gebliebenen Autoren. Der Anspruch auf Rückübertragung stand der „Treuhänderschaft“ gegenüber. Die Witwe des Verlagsgründers, Hedwig Fischer, erhob Rückerstattungsklage. 1950 kam es bei allen Schwierigkeiten zu einer Einigung. Die von Suhrkamp betreuten Autoren konnten selbst entscheiden, welchem der beiden Verlage sie ihre Rechte übertragen wollten. 33 von 48 entschieden sich für Suhrkamp. Darunter Hermann Hesse, Bertolt Brecht, ein Freund Suhrkamps, George Bernard Shaw und (sic!) Max Frisch. Schon im Herbst 1950 erschienen die ersten Bücher im Suhrkamp Verlag. Etwa Walter Benjamins „Berliner Kindheit um 1900“.

In dem auf eine Idee des kürzlich verstorbenen, langjährigen Suhrkamp-Lektors Raimund Fellinger zurückgehenden Buch

Peter Suhrkamp: Über das Verhalten in der Gefahr. Essays. Berlin 2020, 420 Seiten

können wir erschließen, wie Peter Suhrkamp seine „Treuhänderschaft“ verstanden hat. Treu. 2016 war bereits der vom Leiter des Literaturarchivs der Frankfurter Universität, Wolfgang Schopf, herausgegebene Briefwechsel (1935-1959) zwischen Peter Suhrkamp und seiner Frau, Annemarie Seidel, erschienen. Hedwig Fischer hatte bis 1939 im Grunewald gelebt. Sie kam aus dem Exil zurück und starb 1952.

Bei Suhrkamp erschienen Heimkehrer wie Theodor W. Adorno und dauerhaft Emigrierte wie Siegfried Kracauer („Von Caligari zu Hitler, 1947). Dabei waren „Intellektuelle“ Peter Suhrkamp eigentlich suspekt. Er hatte sich aber auch auseinanderzusetzen mit Zu-Kurz-Gekommenen wie dem deutschen Außenminister, Heinrich von Brentano, den die späte Lyrik Bertolt Brechts an Horst Wessel erinnerte. Für Unwissen können wir anderen keine Verantwortung übernehmen. Kreiert wurde die „edition suhrkamp“, die im besten Sinne fortschrittliche Schriftsteller und Wissenschaftler versammelte.

Peter Suhrkamp hatte in der Nacht des Reichstagsbrands (27./28. Februar 1933) Bertolt Brecht und Helene Weigel beherbergt, die auf dem Weg in die Emigartion waren. Er selbst hatte permanent Schwierigkeiten mit den Nazis. Ein Denunziant brachte ihn ins Konzentrationslager. Diesen Repressionen entzog sich einer seiner Freunde, Wilhelm Ahlmann, durch Selbstmord. Erst kurz vor Kriegsende kam Suhrkamp aus dem KZ. Nicht zuletzt durch die Fürsprache von Menschen wie Arno Breker. Im Frühjahr 1944, als er ins Männerlager des KZs Ravensbrück eingeliefert wurde, starb im Frauenlager Franz Kafkas Freundin Milena Jesenska (Lothar Müller, SZ 1.7.20).