2350: Nolde-Dämmerung

Als kürzlich zwei Gemälde (Leihgaben) von Emil Nolde (1867-1956) im Bundeskanzleramt abgehängt wurden, deutete sich bereits an, was jetzt in der Ausstellung der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof in Berlin bewiesen wird. Emil Nolde ist nicht länger PC. Er war Nationalsozialist und ein glühender, hasserfüllter Antisemit. Nicht alles davon ist ganz neu, beruht aber auf einem sechsjährigen Forschungsprojekt. Durchgeführt haben es Bernhard Fulda (Oxford) und Aya Soika (Berlin). Unterstützt wurden sie dabei vom Direktor der Ada-und-Emil-Nolde-Stiftung Seebüll, Christian Ring, der seit 2013 im Amt ist. Er hat die Vertuschungspolitik der Stiftung konsequent beendet. Legende sind das „Malverbot“ Noldes und das Narrativ von den „ungemalten Bildern“. Die Legende wurde seit 1946 von Emil Nolde selbst ins Leben gerufen, auch mit der Gründung seiner Stiftung. Die Tatsache, dass fast 50 seiner Gemälde in der Nazi-Ausstellung über „Entartete Kunst“ (seit 1937) hingen, hat er geschickt dazu benutzt, eine Existenz in der „inneren Emigration“ zu behaupten. Zur Befestigung dieser Legendenbildung hat nicht zuletzt Siegfried Lenz‘ Roman „Deutschstunde“ (1967), ein Bestseller, beigetragen.

Ich hatte Emil Nolde im Kunstunterricht kennengelernt. Und ich war – verständlicherweise – äußerst angetan von der Leuchtkraft seiner Farben und der Wildheit seiner Motive. Er war ja nicht auf die Nordsee, Wolken, Häuser und Wiesen hinter dem Deich beschränkt. Eine dunkle Pracht herrschte in seinen Landschaften, wie Andreas Kilb richtig schreibt. Heile Welt habe ich seinerzeit nirgends entdeckt. Mit meiner Frau war ich noch in diesem Jahrtausend mehrfach in Nolde-Sonderausstellungen in der Berliner Jägerstraße am Gendarmenmarkt, die von der Nolde-Stiftung veranstaltet wurden. Und da war ich nicht weniger begeistert als zur Schulzeit. So ist es heute noch.

Der Expressionist Nolde steht für das „Starke, Herbe, Innige“ in der Kunst. Das „Süße der Sünde“ und „rundliche Formenschönheit“ gilt ihm als undeutsch und rassefremd. 1933 hat er dem „Führer“ einen „Entjudungsplan“ vorgelegt. Er wollte „der“ Künstler des Nationalsozialismus werden, woraus aber nichts wurde, weil seine Kunst dafür zu schroff und eigenständig war. Für seine Malerkollegen war Emil Nolde nie pflegeleicht. Die Zurückweisung einiger seiner Bilder führte 1909 zu seinem Auszug aus der Sezession. Hier begann sein lebenslanger Hass auf Max Liebermann. Nolde denunzierte Max Pechstein als „Juden“. Der Rassist Nolde wollte eine „reinliche Scheidung“ zwischen Juden und Germanen. Noch kurz vor Kriegsende 1945 hetzte er gegen „Bolschewismus, Judentum u. Plutokratismus“. Er sprach von „Malerjuden“.

1937 war er der am stärksten in der Ausstellung „Entartete Kunst“ vertretene Künstler. 1941 wurde er aus der Reichskammer für die bildende Kunst ausgeschlossen. Aber der „Meister von Seebüll“ kam nicht auf die Idee, sich den Nazis künstlerisch an den Hals zu werfen. Mit seiner Frau reiste er 1942 eigens nach Wien zum dortigen Reichsstatthalter Baldur von Schirach, um die Rücknahme des Ausschlusses zu erreichen. Vergeblich. Emil Nolde blieb der Großverdiener unter den deutschen Künstlern. Auch vor seiner Entnazifizierung 1946. Heute erscheint seine Kunst politisch derartig kontaminiert, dass sogar Meeres- und Gartenszenen nicht mehr zur staatlichen Repräsentation taugen.

1968 hatte der Kunsthistoriker Werner Haftmann (NSDAP-Mitglied seit 1937) das erste Standardwerk über Emil Nolde vorgelegt. Er war der wichtigste Berater Arnold Bodes bei den ersten drei Documentas in Kassel gewesen. Auf Bitten des seinerzeitigen Stiftungsvorstands Joachim von Lepel und wider besseres Wissen verschwieg Haftmann die Wahrheit über Noldes Hitler-Treue und seinen Judenhass. Er propagierte die Legende vom Künstler im Untergrund, der heimlich in der „Waschküche“ malte. Und Walter Jens, der seine eigene NSDAP-Mitgliedschaft systematisch verschwiegen hatte, betonte 1967 zum hundertsten Geburtstag von Emil Nolde, dass wir Noldes Werk „vor dem gefährlichen Zugriff der Eigen-Deutung“ schützen müssten, also den Künstler Nolde vor dem Menschen Nolde. Das mag nicht ganz falsch sein. Was wäre aus Nolde wohl geworden, wenn Adolf Hitler ihn gemocht hätte?

Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) verwandelte sein Bonner Büro mittels Leihgaben aus Seebüll in ein „Nolde-Zimmer“. Diese Tradition setzte Angela Merkel fort. Bis zu dem Tag, als die Kuratoren der Berliner Nolde-Ausstellung von ihr das Bild „Brecher“ ausleihen wollten, das in ihrem Arbeitszimmer hing. Mit der folgenden Nolde-Ächtung des Kanzleramts durch die Abhängung eines weiteren Bildes ist nun der Moment eingetreten, wo wir einen Bildersturm erwarten dürfen. Soll ich nun „meinen Nolde“ nicht mehr gut finden dürfen?

Im Bundeskanzleramt wartet ein Stockwerk unter dem Kanzlerinnen-Büro

die nächste Herausforderung

auf uns. Dort hängt Ernst Ludwig Kirchners “ Sonntag der Bergbauern“. Dieser hatte am 25. Dezember 1933 einen Brief an seinen Bruder Ulrich geschrieben. Darin heißt es: „Vollständig falsch und unrecht ist die Bemerkung über jüdischen Einfluss auf meine Arbeit. Da der Jude doch in seiner Religion verboten bekommt, sich mit der Darstellung des Menschen zu befassen, hat er ja überhaupt keine Kunst und kann auch so nicht andere beeinflussen, außerdem weißt du ja, dass ich schon länger vor dem 3. Reich die ‚Brücke‘ gegründet hatte, mit der ich für eine echte deutsche Kunst gegen Kunsthandel und Überfremdung der deutschen Kunst 10 Jahre gekämpft habe.“

(Renate Meinhof, SZ 11.4.19; Till Briegleb, SZ 13./14.4.19; Andreas Kilb, FAZ 13.4.19)