1162: Religionsfreiheit – eine wichtige Zumutung

Als der iranische Präsident Hassan Rohani kürzlich Rom besuchte, wurden für seinen Rundgang durch das Kapitolinische Museum Penisse und Brüste ausgestellter Figuren verborgen. Aber auch die „Venus Pudica“, die schamhafte Venus, die mit ihren Händen Brust und Vulva zu bedecken versucht. Der hohe Gast aus der persischen Theokratie sollte sich nicht provoziert fühlen. Ein lächerlicher Fehler der italienischen Gastgeber und ein typisches Missverständnis der

Religionsfreiheit.

Damit müssen wir uns anscheinend zunehmend befassen, wie Vorgänge aus der letzten Zeit belegen. Vgl. etwa

W.S.: Wieviel Meinungsfreiheit ist möglich? Über Mohammed-Karikaturen, Papst-Vorlesung, Idomeneo-Absetzung. In: Medienheft (Zürich), 17.3.2007, S. 1-8. Oder

W.S.: Warum die Religionsfreiheit das erste Menschenrecht ist – und warum die Meinungsfreiheit Demokratie konstituiert. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik 1/2007, S. 40-44.

Matthias Drobinski (SZ 6./7.2.16) ist ein kundiger Autor, der in der Lage ist, uns über dieses wichtige Thema aufzuklären. Es ist nämlich ein Irrtum vieler liberaler und religionsvergessener Kulturen anzunehmen, dass es dem gegenseitigen Verständnis dient, dass wir die Unterschiede verbergen, das Anstößige wegpacken und in glatter Ignoranz dem Streit aus dem Wege gehen. Denn gerade das Leugnen der Differenzen führt zu Unkenntnis, Angst und Vorurteil. Dagegen lebt eine ernsthafte Begegnung der Kulturen und Religionen aus der Zumutung.

„Die Religionsfreiheit ist das Menschenrecht der gegenseitigen Zumutung. Sie ist es gerade im Zeitalter des globalen Austausches und der weltweiten, auch religiös aufgeladenen Konflikte.“

Es ist viel bequemer, sich über die Gemeinsamkeiten von Religionen auszutauschen. Fundamentaler aber sind die Unterschiede und ihre Diskussion; denn daraus ergibt sich die Vielfalt.

„Für religiöse Menschen (und auch für die überzeugt atheistischen) hat der Andersgläubige, Andersdenkende, Anderslebende zunächst einmal etwas Kränkendes: warum glauben nicht alle, wovon ich so tief überzeugt bin? … Der Rechtsstaat wiederum markiert die Grenzen der Zumutungen. Sie liegen dort, wo religiöse Vorstellungen mit Menschenrechten kollidieren, die Pluralität nicht akzeptieren, wo sie Hass auf Andersdenkende schüren.“

Christen, Juden und Konfessionslosen in Deutschland ist es zuzumuten, dass bei uns Moscheen gebaut werden, Frauen freiwillig ein Kopftuch tragen, dass es Lokale gibt ohne Alkohol etc. Moslems müssen akzeptieren, dass Freiheit für alle gilt, auch für Frauen, die nicht unter dem Patriarchat leben möchten, für Schwule, ja sogar für Religionskritiker. Etc.

Unsere Regeln müssen immer wieder im Streit ausgehandelt werden: „Darf eine Grundschullehrerin im Unterricht ein Kopftuch tragen? Darf man Tiere ohne Betäubung schächten? Wo verläuft die Grenze zwischen Religionskritik und Beleidigung? Welche Mitsprache sollen muslimische Verbände beim Religionsunterricht haben? Wo verläuft die Grenze zwischen arrangierter Hochzeit und Zwangsheirat?“

Es wäre falsch, die Zumutungen nur der Minderheit aufzuladen, damit die Mehrheit zumutungsfrei bleibt. Das wäre das Gegenteil von Religionsfreiheit. Es wäre aber auch falsch, nur die Minderheit zumutungsfrei zu halten, um sie zu schützen. Das wäre ein bestenfalls gut gemeinter Paternalismus, der die Begegnung auf Augenhöhe verhindert.