229: Die Lage von jungen Journalisten und der Qualitätsjournalismus

Die junge freie Journalistin Julia Friedrichs, geboren 1979, beschäftigt sich aus unmittelbarer Betroffenheit mit der Lage von jungen Journalisten in Deutschlands („Die Zeit“, 14.6.2012). Aus ihrem Beitrag spricht noch ein ziemlich ungebrochener Enthusiasmus. Und Friedrichs weiß sehr genau, wozu Journalismus in einer Demokratie gebraucht wird. Aber sie geht auch auf die Krise des Journalismus ein, die vor allem darin besteht, dass die Zahl der Journalisten abnimmt und die Zahl der PR-Agenten (Öffentlichkeitsarbeiter) zunimmt. „Die goldenen Zeiten des Journalismus habe ich nicht erlebt.“ Hier füge ich an, dass es die auch nie gegeben hat. Weder zur Zeit Gustav Freytags noch in der Epoche Kurt Tucholskys oder in der Ära Rudolf Augsteins. Meist handelt es sich um die weit verbreitete Beschönigung von lange vergangenen Zeiten. Auch heute gibt es die goldenen Zeiten des Journalismus nicht.

Was es gibt, und darauf geht Julia Friedichs durchaus ein, ist nach wie vor die ökonomische Abhängigkeit des Journalismus von der Werbung, auch wenn die Anzeigenumsätze sinken. Friedrichs: “ Ja, Journalismus ist auch ein Wirtschaftsgut.“ Und: „Die Gegenwart vieler Jungjournalisten ist prekär.“ Das liegt an den Befristungen, den Junior-Redaktionsverträgen, den Dumpinggehältern, der Anstellung bei Subunternehmen, um die jungen Leute dann als Leihredakteure anzuheuern. Etc. „Die Honorare der Freien sind nach Schätzungen von 1998 bis 2008 um 30 Prozent gesunken.“

Friedrichs spricht davon, dass Journalismus ein Mittelschichten-Beruf ist. Das war ja nie anders, sollte aber möglicherweise geändert werden. Noch zu wenig betont Friedrichs den Vormarsch der Öffentlichkeitsarbeit. Dabei wissen wir darüber doch seit Jürgen Habermas (1962) Bescheid. So bleiben die Gesellschaftsstrukturen und Machtverhältnisse eher unangetastet. Und die damit beschäftigte Wissenschaft verschleiert mit ihren Intereffikations- und Interpenetrationstheorien die Verhältnisse nur. Es gibt in Deutschland weit mehr Öffentlichkeitsarbeiter als Journalisten. Sie sollten eher Gegner sein als Partner. Aber das ist weithin nicht der Fall. Friedichs schreibt nicht unzutreffend: „Journalist ist das, was man gerne wäre. PR ist das, was einen ernährt.“

Julia Friedrichs hat durchaus das Gespür dafür, dass Unabhängigkeit („die aufrechte Haltung“) der höchste Wert im Journalismus sein muss. Da wird sie ein wenig pathetisch. Und das schadet gar nichts. „Es ist trotz allem ein großes Glück, als Journalist arbeiten zu dürfen. Wir dürfen die Welt in Formen gießen. In Berichte und Reportagen, in Moderationen und Kommentare, in Analysen und Essays. In all das, was so viel mehr ist als ‚Content‘.“ Journalisten dürften das Wichtige vom Unwichtigen trennen, das Interessante vom Belanglosen. Journalisten dürften widersprechen, Mindermeinungen vertreten, am Rande stehen, sonderbar sein. „Könnte es einen großartigeren Beruf geben?“

Julia Friedrichs argumentiert so, als ob es klare Maßstäbe für den Journalismus gäbe. Hier wird dann, zumindest implizit, danach gefragt, welchen Beitrag die Wissenschaft zur Beantwortung dieser Frage liefern kann. Damit beschäftigt sich Harald Staun (FAS 29.7.2012). Er räsoniert über die angebliche Krise des Qualitätsjournalismus und stellt der Wissenschaft bei der Behandlung dieses Phänomens kein gutes Zeugnis aus. Staun zieht als Wissenschaftler Margret Lünenborg und Volker Lilienthal heran. Und er nimmt als Ausgangspunkt die Verleihung des Henri-Nannen-Preises an die „Bild“-Zeitung für ihre Recherchen in der Wulff-Affäre.

Staun findet die wissenschaftliche Kritik daran ziemlich läppisch. Seiner Meinung nach liegt das daran, dass kein Mensch weiß, was Qualitätsjournalismus ist. Wenn Lünenborg die Qualität an der Vielfalt der Themen, Quellen und Darstellungsformen bemisst sowie am „Ausmaß originärer Recherche oder exklusiver Themen“ und Lilienthal bei den Journalisten Niedriglöhne, Leiharbeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse konstatiert, dann ist das Staun zu sozialwissenschaftlich. Aber auch er kommt nicht daran vorbei festzustellen, dass die tägliche Auflage der deutschen Tageszeitungen zwischen 2000 und 2011 um über 7 Millionen auf knapp 21,4 Millionen Exemplare gesunken ist. Die Zahl der Redakteure ging in diesem Zeitraum um 15 Prozent zurück. Die Honorare stagnierten.

Die wissenschaftliche Kritik am Journalismus ist Harald Staun zu wenig greifbar. Staun selbst spricht sich für subtilere, wenngleich, wie ich finde, weniger objektivierbare Merkmale aus: „Witz oder Geistesgegenwart etwa, Stil, Sprache.“ Nie ginge es der wissenschaftlichen Kritik um die Eleganz der Prosa oder die Klugheit eines Arguments. „Und von ihrem Kollegen Hans Ulrich Gumbrecht, dem Literaturprofessor der Universität Stanford, der dem deutschen Feuilleton nicht nur internationale Klasse bescheinigt, sondern auch, dass es momentan einen ‚goldenen Moment‘ hat, haben die lamentierenden Professoren auch noch nie etwas gehört.“

Einmal abgesehen von der Frage, ob Gumbrecht überhaupt Recht hat, finde ich, dass wir beide Formen der Kritik am Journalismus benötigen, diejenige, die sich bemüht, objektivierbare Merkmale zu überprüfen, und die subjektive von Hans Ulrich Gumbrecht und Harald Staun. Das kann dem deutschen Journalismus geeignete Maßstäbe liefern. Den Qualitätsjournalismus haben wir noch: bei der „Süddeutschen Zeitung“, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der Samstagsausgabe der „Welt“, der „Zeit“, dem „Spiegel“, den Nachrichtensendungen und Magazinen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, bei einzelnen Fachzeitschriften. Leider fehlt der Qualitätsjournalismus weithin in der lokalen und regionalen Presse. Aber wer sich in Deutschland seriös informieren und unterhalten lassen will, der kann das tun. Hoffentlich noch sehr lange.

Da bin ich optimistisch.